Engelsfuerst
gelassen hatte.
Auf der Via Appia beschleunigte er unwillkürlich,
weil er neugierig war zu erfahren, was Papst Custos
von ihm wollte. Der Wagen hinter ihm, den er aufgrund des Regens nur sehr undeutlich im Rückspiegel
sah, wurde ebenfalls schneller. Offenbar ein dunkler
Fiat älteren Baujahrs.
Ein vager Verdacht stieg in Alexander auf, und er
nahm den Fuß vom Gaspedal, bis sein Peugeot so
langsam über das altrömische Basaltpflaster rollte, daß
es schon an Verkehrsbehinderung grenzte.
Aber der Fahrer des dunklen Fiats traf keinerlei
Anstalten, ihn zu überholen.
Im Gegenteil, fast zeitgleich mit Alexander drosselte auch er die Geschwindigkeit, immer darauf bedacht, einen gewissen Abstand zu wahren.
Aus Alexanders Verdacht wurde Gewißheit: Er
wurde verfolgt!
7
San Gervasio
E
nrico und Tommasio waren ins Kloster zurückgekehrt, aber das zweitausend Jahre alte Wandbild aus der eigenartigen Felshöhle stand Enrico noch
deutlich vor Augen. Er sah die hellhaarige Frau vor
sich, und ihr Name hallte unaufhörlich in ihm wider.
Larthi – Larthi – Larthi …
Der Name klang so vertraut, daß es ihm ein Rätsel
war, geradezu unheimlich. Konnte sein wiederkehrender Traum allein diese Vertrautheit erklären? Er
bezweifelte das. Wieso träumte er überhaupt von dieser Larthi? Und weshalb fühlte er sich ihr so verbunden, daß der Gedanke, über zweitausend Jahre von ihr
getrennt zu sein, ihn schmerzte?
Ambrosio betrat das kleine Büro und brachte den
Tee, den Tommasio bei ihrer Rückkehr bestellt hatte.
Bruder Ambrosio war ein hagerer Mann mit eingefallenem Gesicht, dem die ausdruckslosen Augen etwas Stoisches verliehen. Auch jetzt schien es ihn
nicht im geringsten zu interessieren, was sein Abt
und Enrico Wichtiges zu besprechen hatten. In beinahe gleichgültigem Ton erkundigte er sich, ob er
noch etwas bringen solle. Tommasio verneinte das,
und Ambrosio zog sich ohne ein weiteres Wort zurück.
Tommasio nahm einen großen Schluck von dem
Tee und sah Enrico über den Rand des Bechers hinweg an. »Möchten Sie mit mir über das Bild und Ihren
Traum sprechen, oder wollen Sie erst einmal in Ruhe
allein über alles nachdenken?«
»Das Grübeln scheint mich nicht weiterzubringen.
Also reden wir ruhig.«
Auch Enrico trank und konnte beim besten Willen
nicht ausmachen, um was für einen Tee es sich handelte. Er schmeckte leicht bitter, aber er war heiß,
und die Wärme, die ihn bei jedem kleinen Schluck
durchströmte, tat ihm gut. Inzwischen tobte ein heftiger Wind um den Klosterberg, und bei ihrer Rückkehr waren Tommasio und er von einem Regenschauer überrascht worden. Er dachte an die trotz der
Öffnung windgeschützte Höhle, die für sich allein
schon ein kleines Wunder war. Und dann noch das
Bild!
Der Abt stellte seinen Becher ab, zog die oberste
Schublade eines schmalen Schranks auf, der gleich neben der Tür stand, kramte in der Lade herum und zog
ein paar fotokopierte Blätter heraus, die er vor Enrico
auf den Schreibtisch legte.
Die Kopien waren von miserabler Qualität, die
Buchstaben gerade so noch zu lesen. Aber es reichte
aus, um zu erkennen, daß es sich um einen lateinischen Text handelte, der von Auslassungen durchsetzt
war. Die Schule und auch das Jurastudium, wo er sein
Latein hin und wieder gebraucht hatte, lagen schon
eine Weile zurück, und Enrico mußte sich anstrengen,
um in den ersten Sätzen wenigstens halbwegs einen
Sinn zu erkennen. Es war die Rede vom Bundesgenossenkrieg und von einer etruskischen Stadt weit im
Norden, wo der Kampf gegen Rom fast zu einem
Krieg unter den Bewohnern geführt hätte.
»Das ist also der Text, von dem Sie sprachen, Vater
Tommasio. Wer hat ihn verfaßt?«
»Das ist nicht bekannt. Man fand das Fragment in
den Resten einer Abtei unweit von Salerno, die im
Zweiten Weltkrieg durch Bombenangriffe weitgehend
zerstört wurde. Als ich davon hörte, habe ich mir eine
Kopie schicken lassen.«
»Warum?«
»Die Geschichte und die Kultur der Etrusker haben
mich schon immer fasziniert. Als ich von dem Text erfuhr, der mit der Geschichte dieses Ortes zu tun haben
sollte, war ich, das muß ich gestehen, wie elektrisiert.
Sie können das gewiß nachvollziehen, Enrico, schließlich interessieren Sie sich auch für die Etrusker.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe Sie kürzlich in dem Etruskerbuch von
D. H. Lawrence lesen sehen. Oder war das purer
Zeitvertreib?«
»Nein, Vater, ich interessiere mich tatsächlich für
die Etrusker. Und weil ich von einer
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