Engelsfuerst
verschollenen
Etrusker-Stadt hier in der Gegend gelesen habe, bin
ich überhaupt nur hergekommen.«
»Dann haben Sie, wie es aussieht, gefunden, was Sie
gesucht haben. Oder sollte ich besser sagen: Das, was
Sie suchten, hat Sie gefunden?«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Traum von Larthi, der Tochter der Weißen
Göttin, scheint Sie zu quälen, seit Sie bei uns sind. Als
hätte hier etwas auf Sie gewartet, das stärker und tiefer
ist als ein bloßer Traum. Was verbindet Sie mit den
Etruskern, Enrico?«
Enrico schwieg. Er wußte nicht, was er sagen sollte,
ohne zuviel über die Geschehnisse am Engelssee zu
verraten. Tommasio war ein gebildeter Mann und dafür, daß er Abt eines derart abgelegenen Konvents
war, geradezu aufgeschlossen. Dennoch konnte Enrico ihm schlecht von den gefallenen Engeln erzählen,
die sich gegen Gottes Willen mit den Etruskern verbrüdert und mit ihnen Kinder gezeugt hatten. Und
noch absurder mußte es in Tommasios Ohren klingen,
wenn Enrico behauptete, ein Nachfahre des Erzengels
Uriel zu sein.
»Ich will Sie nicht kränken, Vater«, sagte er schließlich vorsichtig. »Aber um die Frage zu beantworten,
müßte ich Ihnen ein Geheimnis offenbaren, das nicht
nur mich betrifft und über das zu reden ich nicht befugt bin.«
Enrico war, als blitze in den grauen Augen des Abts
Enttäuschung auf. Für einen Sekundenbruchteil nur,
dann lag in Tommasios Blick wieder die gewohnte
unaufdringliche Teilnahme.
Auch sein Ton war weder enttäuscht noch verärgert, als er erwiderte: »Ich will Ihnen keine Geheimnisse entreißen, Enrico, ich will Ihnen nur helfen.
Über eins sollten Sie sich im klaren sein: Wenn Sie
länger hierbleiben, werden Sie kaum zur Ruhe kommen – es sei denn, Sie stellen sich dem, was Sie in Ihrem Traum heimsucht. Mir scheint, nach Ihnen greift
eine Macht, die sich mit dem Instrumentarium des sogenannten modernen, aufgeklärten Menschen nicht
erklären läßt. In Ihren Träumen wird die Vergangenheit lebendig, und Sie scheinen ein Teil davon zu sein.
Wenn Sie das wünschen, kann ich versuchen, Sie mit
Ihrer Vergangenheit zu vereinen, jedenfalls für einen
kurzen Zeitraum, lang genug vielleicht, um Ihnen etwas Klarheit zu verschaffen.«
»Sprechen Sie von einer Rückführung?«
»So etwas in der Art. Ich bin mit einer – nennen wir
es hypnotischen – Begabung ausgestattet, mit der ich
schon einige bescheidene Erfolge erzielt habe.«
Enrico sah sein Gegenüber mit großen Augen an.
»Jetzt überraschen Sie mich wirklich, Vater. Glauben
Sie, daß ich schon einmal gelebt habe? Daß ich die Reinkarnation eines Menschen aus der Zeit des Bundesgenossenkriegs bin?«
»Glauben Sie das nicht, Enrico? So fände der
Traum, der Sie so umtreibt, doch eine Erklärung.«
»Aber Sie sind der Abt eines katholischen Konvents! Wie können Sie esoterischem Gedankengut
nachhängen?«
Ein schüchternes, entschuldigendes Lächeln schlich
sich auf Tommasios Gesicht.
»Sie werden mich hoffentlich nicht an den Vatikan
verpetzen, Enrico. Haben wir nicht jeder unsere ganz
eigene Vorstellung von dem, was uns nach dem Tod
erwartet? Als Abt bin ich an die Lehren der katholischen Kirche gebunden, aber als Privatmensch bin ich
von der Vorstellung, daß unsere Seele mehr als nur eine Chance erhält, den rechten Weg – Gottes Weg – zu
finden, durchaus angetan.«
Enrico nickte nur; zu sehr war er damit beschäftigt,
das Bild, das er sich von dem Abt gemacht hatte, zu
korrigieren.
Tommasio erhob sich, wandte sich zur Tür und
sagte, bevor er das Büro verließ: »Überlegen Sie sich
meinen Vorschlag ganz in Ruhe.«
Als der Abt gegangen war, nahm Enrico den lateinischen Text noch einmal zur Hand. Erneut überflog er
die Zeilen, von denen er einige halbwegs übersetzen
konnte, während andere ihm rätselhaft blieben – bis er
an einer Stelle verharrte. Dort, wo der magische Name
stand: Larthi.
8
Rom
A
lexander gab Gas. Der Motor heulte protestierend auf, und der Peugeot machte einen Satz
nach vorn. Der Gewaltakt brachte das Fahrzeug auf
dem nassen Pflaster ins Rutschen, aber Alexander hatte es schnell wieder unter Kontrolle. Als er im Rückspiegel sah, daß auch der dunkle Fiat beschleunigte,
lächelte er grimmig, fest entschlossen, dem Fahrer eine
unangenehme Überraschung zu bereiten.
Hinter der nächsten Kurve lag die Zufahrt zur Benedetto-Nekropole, einer der zahlreichen alten Begräbnisstätten an der Via Appia Antica. Da im alten
Rom die Toten nicht innerhalb der Stadtmauern
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