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Engelsfuerst

Engelsfuerst

Titel: Engelsfuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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entfernt.
Ganz Rom erschien ihm wie eine einzige Erinnerung
an eine glückliche, aber für immer verlorene Zeit, und
plötzlich kam ihm der Gedanke, daß er der Stadt vielleicht den Rücken kehren sollte, sobald diese Sache erledigt war.
    Am Tiberufer wurde der Verkehr noch dichter.
Alexander nahm es trotz seiner Neugier, was Papst
Custos von ihm wollte, mit Gleichmut hin. Dem Straßenverkehr Roms mit einer anderen Haltung zu begegnen wäre töricht gewesen, das hatte er im Laufe
seiner Jahre hier gelernt. Dank seiner Ortskenntnis
gelang es ihm, das größte Verkehrschaos rund um die
Tiberbrücken zwischen San Giovanni dei Fiorentini
und der Engelsburg zu umfahren und durch Nebenstraßen relativ zügig zum Vatikan zu gelangen.
    An der Porta Sant’Anna händigten ihm die Schweizergardisten den außerordentlichen Passierschein aus,
den Henri Luu für ihn hinterlegt hatte. Sie trugen
nicht die bunte Uniform in den Medici-Farben, mit
der sie üblicherweise in Zeitungen oder im Fernsehen
zu sehen waren, sondern die blaue Alltagsuniform, die
bequemer und leichter zu pflegen war. Den Befehl
führte ein junger Adjutant, den Alexander noch aus
seiner Zeit bei der Garde kannte und den er als aufrechten Mann ebenso schätzte wie als tapferen Soldaten: Roland Kübler aus dem Musikgeschwader.
    Der trat an den Wagen und beugte sich zu Alexander herunter.
»Grüß Gott, Rosin. Ich wußte gar nicht, daß wir im
Vatikan dicke Luft haben. Verrätst du mir mehr?«
»Was meinst du, Kübler?«
Der Gardeadjutant mit dem jungenhaften Gesicht
grinste breit. »Spiel nicht das Unschuldslamm, Rosin!
Immer wenn du auftauchst, geht es über kurz oder
lang hoch her im Vatikan. Sag mir Bescheid, wenn es
gefährlich wird, dann halte ich die Augen auf!«
»Du irrst dich, ich habe lediglich eine Verabredung.«
»Ja, mit niemand Geringerem als dem Privatsekretär von Papst Custos.«
»Das weißt du?«
»Don Luu hat mich beauftragt, ihn sofort zu verständigen, sobald du auftauchst. Und genau das werde
ich jetzt tun.«
Kübler verabschiedete sich mit einer freundschaftlichen Geste und betrat das kleine Wachhaus, in dem
auch Alexander früher so manche Dienststunde verbracht hatte.
Während Kübler Henri Luu anrief, lenkte Alexander den Peugeot durch die vertrauten Straßen des Vatikanstaats, wobei er penibel die hier geltende
Höchstgeschwindigkeit von
30 Stundenkilometern
einhielt. Die Gendarmen der Vigilanza waren schnell
mit einem Strafzettel zur Stelle, besonders wenn sie
damit einem Schweizergardisten – und sei es ein ehemaliger – eins auswischen konnten. Seit die Schweizergarde und die Vigilanza die beiden einzigen Wachtruppen des Vatikans waren, herrschte zwischen ihnen
eine glühende Rivalität.
Kaum hatte er auf dem Damasushof geparkt, eilte
ihm der Vertraute von Papst Custos auch schon im
Schutze eines glockenförmigen Schirms entgegen, um
ihn vor dem Regen zu bewahren.
Alexander konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Ein hübscher Schirm, Don Luu. Die Form
hat unleugbar etwas Klerikales.«
»Wir verkaufen ihn in den vatikanischen Touristenshops«, erklärte Luu. »Übrigens mit großem Erfolg.«
»Bei dem Wetter kann ich mir das gut vorstellen. Ist
Petrus an den Einnahmen beteiligt?«
Als sie den Apostolischen Palast erreichten, schüttelte Luu den Schirm aus und stellte ihn neben dem
Eingang ab. Dabei musterte er Alexander, der, naß
und verschmutzt, einen erbärmlichen Anblick bot.
»Wenn Sie uns verlassen, sollten Sie den Schirm
mitnehmen, Signor Rosin.«
»Ich hatte einen etwas bewegteren Vormittag. Aber
wenn ich mich erst noch umgezogen hätte, hätte Seine
Heiligkeit zu lange warten müssen.«
»Es ist gut, daß Sie gleich gekommen sind«, sagte
Luu, der sehr ernst wirkte. »Wenn Sie mir bitte folgen
wollen!«
Sie nahmen den Lift hinauf in den dritten Stock,
und dort ging es über einen schmalen Gang in einen
Raum, den Alexander bereits von früheren Besuchen
kannte.
Drei Männer warteten hier auf ihn und Luu, darunter die beiden wichtigsten Personen des Vatikans.
Papst Custos und Papst Lucius.
Obwohl Alexander zwei Jahre zuvor die Ereignisse
um die Spaltung der Kirche und ihre Wiedervereinigung aus nächster Nähe miterlebt hatte, war die Tatsache, daß jetzt zwei Päpste an der Spitze der katholischen Kirche standen, in seinen Augen noch immer
befremdlich.
Den dritten Anwesenden hatte Alexander bislang
nur von Fotos gekannt, da er erst seit wenigen Wochen im Amt war. Der schlanke,

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