Engelsfuerst
du?«
»Du weißt mehr, als du sagst. Und jetzt hast du die
Wahl, mir reinen Wein einzuschenken oder in einer
Stunde dem Wadenbeißer Bazzini gegenüberzusitzen!«
»Warum so unfreundlich, Alexander? Was habe ich
dir getan?«
»Elena steckt ernsthaft in Schwierigkeiten, das genügt.«
Petti grinste. »Ich dachte, du hättest dich inzwischen
anders orientiert. Wie hieß doch gleich die blonde
Maus aus der Lokalredaktion, Gina, Pina oder …«
Alexander sprang auf und versetzte Petti einen
Kinnhaken. Es war ein grotesker Anblick, als Petti
nach hinten und die Zigarette, die eben noch zwischen
seinen Lippen geklebt hatte, nach vorn fiel.
»Ihr Name ist Liana, und zwischen uns ist es längst
aus.«
Petti lag, zwischen Kiste und Wand eingeklemmt,
auf dem Boden und sah aus wie ein riesiger Maikäfer,
der auf den Rücken gefallen ist und aus eigener Kraft
nicht wieder auf die Beine kommt. Blut rann ihm aus
dem linken Mundwinkel.
»Scheißkerl!« stieß er mit rauher Stimme hervor
und spuckte Blut. »Ich kann doch nichts dafür, daß du
dich mit der Ziege eingelassen hast. Ich fand schon
immer, daß sie einen viel zu kleinen Arsch hat.«
»Es ging nicht um ihren Arsch«, sagte Alexander
leise, während er sich vergebens bemühte, ein Gefühl
der Beschämung zu unterdrücken. Petti hatte recht:
Nicht er war der Übeltäter, sondern Alexander. »Tut
mir leid, Emilio. Hier, nimm meine Hand und steh
endlich auf! Sieht ziemlich ungemütlich aus, wie du
daliegst.«
Als er wieder neben Alexander auf der Kiste saß
und mit einem schmutzigen Taschentuch das Blut von
seinem Kinn wischte, knurrte Petti: »Jetzt laß es mal
gut sein! Zweimal an einem Tag vor dir im Schmutz
zu liegen, reicht mir.«
»Ja, ja, ich reiße mich zusammen«, versprach Alexander und warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte Henri Luu versprochen, sofort in den Vatikan zu kommen, und jetzt saß er hier mit Petti, dem doch nichts
zu entlocken war.
Petti war sein Blick nicht entgangen. »Du hast es
wohl eilig.«
»Wenn ich ja sage, fragst du mich, wohin ich will.
Aber warum sollte ich dir das sagen, wo du dein Maul
auch nicht aufkriegst?«
»Tja, sieht aus wie die klassische Pattsituation«, sagte Petti. »Ich mache dir einen Vorschlag: Wir treffen
uns heute abend um neun bei Federico zu Pasta und
Rotwein und tauschen Zug um Zug unsere Informationen aus.« Er legte eine Hand auf Alexanders Unterarm. »Aber eins mußt du mir versprechen, alter
Freund: Du nimmst mich mit ins Boot, ja? Wir
schreiben die große Story gemeinsam, damit ich endlich aus dem Loch rauskomme, in dem ich seit dieser
verdammten Madonnengeschichte stecke!«
Alexander überlegte und fragte sich, ob Petti ihn
angelogen hatte, was den Informanten bei der Polizei
anging. Vielleicht war er schon länger an der Story
dran.
Er sah Petti durchdringend an. »Hast du diesen
Deal auch mit Elena gemacht?«
»Heute abend bei Federico«, wiederholte Petti, der
seinem Blick auswich. »Um neun.«
9
Rom
A
lexander war in Gedanken noch bei dem seltsamen Zusammentreffen mit Emilio Petti, als
vor ihm die mächtige Stadtmauer des Kaisers Aurelian auftauchte, die mit ihren steinernen Türmen und
Zinnen dem Regen trotzte. Mit Petti war ganz unerwartet eine neue Figur in das undurchsichtige Spiel
getreten, vielleicht ein Joker. Hoffentlich einer, den
Alexander ausspielen konnte, um Elena von dem
Mordverdacht zu befreien.
Er fuhr durch die Porta San Sebastiano, und innerhalb der alten Stadtmauer nahm der Verkehr schlagartig zu. Früher war das Stadttor unter dem Namen
Porta Appia das Haupteinfallstor zum Herzen des
Römischen Reiches gewesen. Heute mochte es nur
noch eine Zufahrt unter vielen sein, aber die Blechschlangen, die sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend hindurchwanden, stellten vermutlich alles
in den Schatten, was die Porta Appia in alten Zeiten je
an Händlern, Bauern und Legionären gesehen hatte.
Über die Via di Porta San Sebastiano, vorbei an den
Caracallathermen und am Circus Maximus, ging es in
Richtung Tiber.
Als er an der Kirche Santa Maria in Cosmedin vorbeifuhr, stiegen schmerzliche Erinnerungen in ihm
auf. Selbst bei dem Regenwetter hielten Touristenbusse vor dem romanischen Gotteshaus mit dem
schlanken Glockenturm, und die Menschen standen
Schlange, um die rechte Hand in die berühmte Bocca
della Verità zu legen, den Mund der Wahrheit. Auch
er hatte einmal vor der großen Steinmaske gestanden,
mit Elena, doch das war unendlich weit
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