Engelsfuerst
braungebrannte
Mann mit den ergrauenden Schläfen hieß Bruno Spadone und war bis vor kurzem stellvertretender Polizeichef von Florenz gewesen. Jetzt diente er nicht
mehr dem italienischen Staat, sondern dem kleinsten
Staat der Welt, dem Vatikan; er war zum neuen Leiter
der Vigilanza und gleichzeitig zum Leiter des Sicherheitskomitees berufen worden, das über alle Sicherheitsfragen des Vatikans zu wachen hatte.
Papst Custos nahm Alexander beiseite und begrüßte ihn wie einen alten Freund. Hätte Alexander ihm
zweieinhalb Jahre zuvor nicht beigestanden, wäre Custos nicht mehr am Leben gewesen; seitdem gab es eine besondere Verbundenheit zwischen ihnen.
Custos umfaßte seine Rechte mit beiden Händen
und sagte leise, aber eindringlich: »Alexander, ich
möchte Ihnen versichern, daß ich Elena für unschuldig
halte, ganz gleich, was im Polizeibericht stehen mag.«
Eine Ordensschwester, deren Augen hinter der gewaltigen Brille kaum zu erkennen waren, servierte
Kaffee und Schokoladenkekse und zog sich gleich
wieder zurück. Als Luu ihn aufforderte zuzugreifen,
ließ Alexander sich das nicht zweimal sagen. Er hatte
den ganzen Tag noch nichts gegessen.
»Sie haben anstrengende Stunden hinter sich, Signor
Rosin«, sagte Spadone. »Man muß kein Polizist sein,
um das zu erkennen. Ich vermute mal, Sie waren
draußen beim alten Urbanistinnenkloster.«
Alexander nickte nur, weil er gerade mit Kauen beschäftigt war.
»Gibt es neue Erkenntnisse über den Mord an
Monsignore Picardi?«
»Als ich von dort wegfuhr, gab es noch keine«,
antwortete Alexander und spülte ein paar widerspenstige Krümel, die ihn im Hals kratzten, mit einem ordentlichen Schluck Kaffee hinunter. »Der verdammte«
– sein Blick fiel auf die beiden Päpste –, »Verzeihung,
der starke Regen letzte Nacht hat kaum Spuren übriggelassen.«
Custos lächelte. »Sie haben völlig recht, es war ein verdammter Regen. Ich konnte kaum schlafen, so heftig prasselte er gegen mein Fenster. Übrigens glaubt
niemand hier, daß Elena die Schuld an Picardis Tod
trägt.«
Als Custos das, was er ihm eben unter vier Augen
gesagt hatte, vor versammelter Runde wiederholte,
horchte Alexander auf.
»Heiliger Vater, wissen Sie etwas, das die römische
Polizei noch nicht weiß?«
»Nicht direkt«, antwortete Custos. »Aber es gab da
einen Vorfall, der vielleicht mit Picardis Tod im Zusammenhang steht, auch wenn wir keinen Beweis dafür haben.«
Alexander beugte sich vor. »Was für einen Vorfall,
Eure Heiligkeit?«
Luu mischte sich ein: »Wir hoffen auf Ihre Verschwiegenheit, Signor Rosin.«
Alexander bedachte ihn mit einem leicht verärgerten Blick. »Habe ich Sie in dieser Hinsicht jemals enttäuscht, Don Luu?«
Papst Lucius ergriff das Wort: »Ich denke, was das
angeht, können wir Signor Rosin vertrauen. Ist das
nicht der Grund, weshalb wir ihn überhaupt zu Rate
ziehen? Er war der Kirche schon mehrmals nützlich
als ein Mann, der sich innerhalb wie außerhalb des Vatikans auskennt.«
Lucius wechselte einen kurzen Blick mit seinem
Amtsbruder; die beiden Männer in Weiß schienen sich
einig. Ein kleiner Wink von Custos, und Luu förderte
aus einem Schrankfach ein silbernes Gefäß zutage, das
er mitten auf den Tisch stellte.
Gleichzeitig sagte Spadone: »Sie werden sich noch
an den Tod von Kardinal Mandume erinnern, Signor
Rosin?«
»Natürlich, die Sache liegt ja erst drei Wochen zurück. Er leitete die Präfektur für die wirtschaftlichen
Angelegenheiten des Heiligen Stuhls.« Alexander hatte das Bild des afrikanischen Kardinals deutlich vor
Augen: ein kräftiger, absolut gesund wirkender Endfünfziger, der überraschend einem Herzschlag erlegen
war. »Moment, jetzt klingelt es bei mir. Kardinal
Mandume oblag die Prüfung aller finanziellen Angelegenheiten des Vatikans, und letzte Nacht starb der
Stellvertretende Direktor der Vatikanbank!«
Spadone nickte. »Da könnte man einen Zusammenhang vermuten, nicht wahr?«
»Aber Picardi wurde brutal ermordet, und Mandume erlag einem Herzschlag. Oder stimmt das gar
nicht?«
Spadone schob das silberne Gefäß vor Alexander
hin und nahm den Deckel ab. Alexander blickte hinein, es war zur Hälfte mit einem grauschwarzen Pulver
gefüllt. Allmählich dämmerte ihm, daß vor ihm eine
Urne stand.
»Kardinal Mandume ist also eingeäschert worden.
Und?«
»Der Kardinal ist nicht nach seinem Tod eingeäschert worden«, sagte Spadone.
»Wie?« fragte Alexander verwirrt.
»Es gab keine Leiche, die man hätte
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