Engelsfuerst
harte Holz krachte
gegen seinen Kopf. Das letzte, was er wahrnahm, war
Larthis entsetzter Blick.
»Geht es wieder? Ich habe mir schon ernsthaft Sorgen
gemacht.«
Er spürte ein feuchtes, kühles Tuch auf der Stirn
und empfand das als reine Wohltat. Als er die Augen
aufschlug, suchte er vergeblich nach Larthi, Larth und
seinen Kumpanen. Nur ein Mann war bei ihm und
verschaffte ihm mit dem kühlen Tuch, das er in eine
Wasserschale tauchte, auswrang und wieder auf seine
Stirn legte, Linderung. Aus einem ledrigen Gesicht
blickten ihn graue Augen forschend an.
»Wie fühlen Sie sich, Enrico?«
Enrico!
Erst als er den Namen hörte, wurde ihm klar, daß
sich das Fenster, durch das er in die ferne Vergangenheit geschaut hatte, geschlossen hatte.
»Was ist passiert?«
Tommasio sah ihn schuldbewußt an. »Ich war unvorsichtig, die Dinge sind mir entglitten. Die Erinnerung wurde für Sie schneller zur schmerzhaften Wirklichkeit, als ich Sie aus der Trance, in die ich Sie versetzt habe, erwecken konnte.«
Enrico schloß die Augen und sah wieder die antike
Stadt vor sich, Laris’ großes Anwesen und Larthi. Es
war so real gewesen, und jetzt vermißte er Larthi, als
sei er eben noch bei ihr gewesen und nicht vor mehr
als zweitausend Jahren.
»Ist das wirklich geschehen«, fragte er, »oder war es
ein Traum?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen«, antwortete der Abt zu seiner Überraschung.
»Aber, Vater, Sie haben mich doch in diesen Zustand versetzt!«
»Ganz recht, aber ich habe keinen Einfluß darauf,
ob Sie sich in der Trance an tatsächliche Ereignisse erinnern oder an etwas, von dem Sie glauben, Sie hätten
es erlebt, oder das Sie einfach nur gern erlebt hätten.
Es gibt Menschen, die wünschen sich so sehr, Kleopatra, Julius Caesar, die Jungfrau von Orleans oder Napoleon Bonaparte zu sein, daß sie bei einer Rückführung ganz sicher in deren Haut schlüpfen werden.
Aber oft ist das nur Einbildung, eine Art Selbsthypnose.«
»Also das, was ich eben – oder war es vor zwei
Jahrtausenden? – durchgemacht habe, hätte ich wirklich nicht gern erlebt«, seufzte Enrico und griff dankbar nach dem Wasserbecher, den Tommasio ihm hinhielt. Er trank in großen Schlucken, und das Wasser
half ihm, die bleierne Schwere abzuschütteln, die ihn
befallen hatte.
»Man kann sich im Zustand der Rückführung auch
Dinge einbilden, vor denen man sich fürchtet. Häufiger kommt es allerdings vor, daß der Wunsch Vater
der sogenannten Erinnerung ist.«
»Wie kann ich feststellen, ob ich die Wahrheit gesehen habe oder nicht?«
»Indem Sie sich selbst prüfen und natürlich auch,
indem Sie die objektiven Umstände in Betracht ziehen. Wenn Sie vorher noch nie etwas von Larthi und
ihrer Familie gehört haben, ist es wenig wahrscheinlich, daß alles nur Einbildung gewesen ist. Wenn Sie
mich fragen, so haben Sie uns eben einen sehr interessanten Einblick in die Zeit des Bundesgenossenkriegs
geboten. Worüber ich gern mehr wüßte, ist diese
Kraft der Ahnen, die einen Menschen binnen weniger
Augenblicke in Asche verwandeln kann.«
»Das geht mir genauso, aber im Augenblick bin ich
zu erschöpft. Ich möchte einfach nur schlafen.«
»Natürlich, verzeihen Sie«, sagte Tommasio mit einem entschuldigenden Lächeln und zog sich sofort
zurück.
Enrico blieb auf der Pritsche in seiner Zelle liegen
und entspannte sich, so gut er konnte. Er mußte sich
über einiges klar werden. Wenn dieser Vel weder eine
Traumgestalt noch ein Produkt seiner überreizten
Phantasie war, dann hatte er – Enrico – zweitausend
Jahre zuvor in dieser Gegend gelebt. Und wenn er tatsächlich Vel gewesen war, dann gab es nur eine Erklärung für die geheimnisvolle Kraft der Ahnen.
13
Rom
F
edericos Trattoria lag mitten in Rom und doch
etwas abseits des allgemeinen Trubels, direkt am
linken Tiberufer. Alexander parkte drei Gehminuten
entfernt in der zweiten Reihe, wie es abends auch viele
andere taten, und ging auf die schmale Treppe zu, die
hinunter zum Fluß führte. Ein Blick auf die Leuchtziffern seiner Uhr verriet ihm, daß es kurz vor neun
war. Er würde pünktlich sein.
Ein wenig plagte ihn das schlechte Gewissen, daß er
Donati nichts von Petti gesagt hatte. Aber hier ging es
weder um Stelvio Donati noch um Alexanders freundschaftliche Gefühle für ihn, es ging ausschließlich um
Elena. Erst mußte er sich anhören, was Petti ihm mitzuteilen hatte, dann würde er sich überlegen, wie er
weiter vorgehen wollte.
Es regnete noch
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