Engelsfuerst
Auserwählten. Custos muß doch einen bestimmten
Verdacht haben.«
Donatis eben noch gelassener Gesichtsausdruck
wich einer angespannten, besorgten Miene. »Keinen
Verdacht, aber eine Befürchtung. Und wenn die sich
bewahrheitet, dann ist der Kampf zwischen Gut und
Böse, den wir vor zwei Jahren für beendet hielten, neu
entfacht.«
Alexander dachte an die dramatischen Ereignisse
am Engelssee, den unterirdischen See im Monte Cervialto, der das Verlies der gefallenen Engel gewesen
war.
Damals hatte eine Gruppe fehlgeleiteter Kleriker
versucht, die Engelsmacht zum Leben zu erwecken.
Aber der Berg war eingestürzt und hatte den Engelssee – und damit auch die dunkle Macht der gefallenen
Engel, wie Alexander und seine Freunde gehofft hatten – unter sich begraben. Donatis Eröffnung, daß
dies alles möglicherweise noch nicht vorbei war,
schockierte ihn.
»Soll das heißen, daß Mandume ein …«
»… ein Engelssohn gewesen ist?« Donati nickte.
»Genau das hat Papst Custos mir eröffnet. Weshalb
erstaunt dich das so? Weil Mandume Schwarzafrikaner war? Da haben die Engel, die sich mit den Menschen verbrüderten, vielleicht weniger Unterschiede
gemacht als wir heute.«
»Nein, das ist es nicht«, erwiderte Alexander. »Ich
hatte nur gehofft, daß das alles endlich einmal vorbei
ist, und jetzt scheint sich das Gegenteil herauszustellen!«
Sie schwiegen eine Weile. Vermutlich dachte auch
Donati an die zwei Jahre zurückliegenden Geschehnisse. Alexander kam das alles vor wie ein Fluch, der
an ihm und an allen, die ihm nahestanden, haftete.
Begonnen hatte es vor zweieinhalb Jahren, als Custos
zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt
worden war und aufgrund seiner Fähigkeit, Menschen
zu heilen, bald als »Engelspapst« von sich reden
machte. Seitdem fand Alexander sich in Ereignisse
verstrickt, die er, wäre er nicht selbst daran beteiligt
gewesen, allenfalls der überspannten Phantasie eines
Romanschriftstellers zugeordnet hätte, aber niemals
der Realität. Erneut spürte er jene Müdigkeit, die ihn
schon früher am Tag heimgesucht hatte, und er
wünschte sich, weit fort zu sein von Rom und den
Aufregungen um wunderheilende Päpste und verbrannte Kardinäle.
Donatis Stimme durchschnitt seine frustrierenden
Gedanken: »Mandumes – nennen wir es – übernatürliche Fähigkeiten waren nicht besonders ausgeprägt,
jedenfalls hat Papst Custos mir das so gesagt. Und
nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu den Engelssöhnen haben Custos und Lucius ihn in den Vatikan geholt, sondern weil sie ihm vertrauten. Übrigens hat
Spadone dir nicht alles über Selbstverbrennungen berichtet, weil seine Kenntnisse nur lückenhaft sind.
Nach allem, was die Auserwählten wissen, sind in der
Vergangenheit einige der ihren durch ein unerklärliches Feuer quasi von innen verbrannt. Custos vermutet, daß es mit den besonderen Kräften zu tun hat, die
ihnen innewohnen. Diese übernatürliche Energie kann
den, in dem sie steckt, auch vernichten.«
Alexander blickte sich um, weil er befürchtete, jemand könnte etwas von ihrer Unterhaltung mitbekommen und ihnen gleich die freundlichen Herren
mit den Zwangsjacken vorbeischicken. Aber in der
Pizzeria war es leer wie überall in den Straßen rings
um den Vatikan. Das schlechte Wetter schreckte viele
der Touristen ab, die sonst in Scharen durch die Straßen der Ewigen Stadt flanierten.
»Dann ist Mandume vielleicht doch durch einen
Unfall zu Tode gekommen«, überlegte er laut. »Möglicherweise konnte er seine Kräfte nicht mehr bändigen.«
Donati wiegte zweifelnd den Kopf. »Vielleicht war
es so, aber nach dem Mord an Picardi mag ich daran
nicht mehr so recht glauben.«
Düstere, fast schwarze Wolken zogen über dem Vatikan herauf, und in der Pizzeria wurde es, obwohl
erst früher Nachmittag, immer dunkler. Ein Kellner
stellte eine Kerze auf ihren Tisch und zündete sie an.
Als die Flamme sich zitternd erhob, versuchte
Alexander sich vorzustellen, wie es aussehen mochte,
wenn ein ganzer Mensch zu Asche verbrannte.
12
San Gervasio
D
ie Asche«, sagte die sanfte, aber eindringliche
Stimme, die aus einer anderen, fernen Zeit kam
und doch dicht an seinem Ohr erklang. »Die Asche
am Boden und der Geruch von verbranntem Fleisch.
Was geschah dann? Was?«
Vels Blick wanderte von dem Aschehaufen zurück
zu Larths wütendem Gesicht, und er mußte gegen eine Übelkeit ankämpfen, die weniger von dem entsetzlichen Gestank herrührte als von der Vorstellung, was
mit
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