Engelsfuerst
Stelvio. Einerseits gibt er den Korrekten, andererseits will er von
nichts gewußt haben. Alles, was mit Mandume zu tun
hatte, war Picardis Angelegenheit, und der ist jetzt tot.
Wie passend und wie bequem!«
Donati griff nach seinem Glas und trank genüßlich
einen Schluck Rotwein, bevor er sagte: »Aber es
macht Scheffler nicht automatisch zum Verdächtigen.
Wenn Picardi wirklich derjenige gewesen ist, der hinsichtlich der Überprüfung der Vatikanbank mit Mandume zusammengearbeitet hat, und wenn beider Tod
mit dieser Überprüfung in Zusammenhang steht, ist es
nur logisch, daß Picardi ermordet wurde. Das sagt
aber nichts gegen Scheffler aus.«
»So kann man es natürlich auch sehen«, knurrte
Alexander und stocherte lustlos in seiner Thunfischpizza herum.
»Ich glaube, was dich gegen ihn aufgebracht hat,
war seine Bemerkung über Picardi und Elena. Aber
viel schlimmer – schlimm für Elena – ist etwas ganz
anderes.«
»Hm«, machte Alexander nur, weil er wußte, welches unerfreuliche Thema jetzt kam.
»Elena hat uns belogen«, fuhr Donati fort. »Picardis
Sekretär hat Schefflers Aussage bestätigt, sie hat Picardi interviewt. Am Montagnachmittag, um genau zu
sein. Und zwar hat sie um das Interview gebeten. Es
ist nur logisch anzunehmen, daß ihr Treffen mit Picardi vergangene Nacht mit dem Interview in Zusammenhang steht. Elena aber hat ausgesagt, sie wisse
nicht, was Picardi von ihr wollte.«
»Vielleicht war es doch etwas anderes, nichts, was
mit dem Interview zu tun hatte.«
Alexander suchte nach einem Ausweg für Elena.
»Immerhin konnte uns Picardis Sekretär nicht sagen, worüber die beiden am Montag gesprochen haben.«
Donati lächelte grimmig. »Aber Elena hätte es uns
sagen können, wenn sie gewollt hätte. Ich kann das
Bazzini nicht verschweigen. Dieses Verhalten wird
Elena auf jeden Fall zum Nachteil ausgelegt werden.«
Alexander schlug so heftig mit der Faust auf den
Tisch, daß die Gläser und Teller zu tanzen begannen.
»Spiel doch nicht den Moralapostel, Stelvio! Du
hast mir auch nicht alles gesagt, was du weißt!«
»Wie bitte?«
»Ich habe dich beobachtet, als Spadone dir von
Mandumes sogenannter Selbstverbrennung berichtet
hat. Das schien dich überhaupt nicht zu beeindrucken.
Und ich kann mir auch denken, warum: Du kanntest
die Geschichte schon.«
»Touché«, sagte Donati mit einem breiten Grinsen,
das ihn wie einen großen Schuljungen nach einem gelungenen Streich aussehen ließ, und rückte mit seinem
Stuhl ein Stück nach hinten, um mehr Platz für seine
Beinprothese zu haben. »Kurz nach Mandumes Tod
hat Papst Custos mich eingeweiht, was Spadone aber
nicht weiß. Offiziell ist die römische Polizei nicht mit
der Sache befaßt, offiziell gilt der Tod Mandumes
nicht als Mord. Aber Custos hat mich gebeten, Mandumes Kontakte in Rom zu überprüfen.«
Daß Papst Custos sich an Donati gewandt hatte,
war für Alexander nachvollziehbar. Der Polizeidirektor gehörte zu jenen Menschen, die die Auserwählten
unterstützten. So nannten sich die Nachfahren Jesu,
zu denen Custos gehörte.
Und dann gab es da noch die Engelssöhne wie Lucius und Enrico, die Nachfahren der Wesen, die man
Engel nannte. Beide Gruppen verfügten über ähnliche
Fähigkeiten – sie konnten Dinge tun, die in der Bibel
als Wunder bezeichnet wurden – und arbeiteten hinter
den Kulissen des Vatikans eng zusammen. Alexander
hatte nie ganz durchschaut, wie Auserwählte und Engelssöhne tatsächlich zueinander standen. Er selbst
war nur ein Außenstehender, und das Geheimnis dieser besonderen Menschen lag zu weit in der Vergangenheit, Jahrtausende zurück.
Seine Gedanken beschäftigten sich wieder mit der
Gegenwart, und er fragte Donati: »Was hat deine Überprüfung ergeben?«
»Nicht viel. Mandume ging mehr oder weniger in
seiner Arbeit auf, war meistens der erste, der morgens
ins Büro kam, und der letzte, der abends ging. Insofern bestand für seine Mitarbeiter auch in jener Nacht,
als er auf noch ungeklärte Weise verbrannte, kein
Grund, sich über ihren Chef, der allein im Büro zurückblieb, zu wundern.«
Alexander strich sich über die Stirn, als könne ihm
das helfen, seine Überlegungen zu ordnen. »Mandume
hatte einen sehr hohen Posten im Vatikan, gut, und er
ist auf äußerst ungewöhnliche Weise gestorben. Aber
das ist in meinen Augen noch keine ausreichende Begründung dafür, daß Papst Custos ausgerechnet dich
eingeschaltet hat, Stelvio. Du bist ein Vertrauter der
Weitere Kostenlose Bücher