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Engelsfuerst

Engelsfuerst

Titel: Engelsfuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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waren hastig davongelaufen. Jemand hatte zu ihm gesprochen und seinen
Kopf vorsichtig auf etwas Weiches gebettet, ein Kissen oder eine zusammengelegte Jacke. Etwas Wärmendes war über ihn gebreitet worden, vielleicht eine
Decke oder auch ein Mantel. Er hatte einfach nur dagelegen, unfähig, sich zu bewegen.
    Die Stimmen hatten sich mit dem steten, nahen Rauschen des Flusses vermischt. Er hatte Sirenen gehört,
aufblitzendes Licht gesehen, das die Nacht und den
verschwommenen Dämmerschein um ihn her zu
durchstoßen suchte, leuchtenden Lanzen gleich. Man
hatte ihn untersucht, ihn angehoben, auf eine Art Brett
gelegt und in einen Verschlag geschoben – nein, in ein
Auto. Türen waren zugeworfen worden, wieder hatten
Sirenen aufgeheult. Er erinnerte sich nicht, wie lange
die Fahrt gedauert hatte und was danach mit ihm geschehen war. Und jetzt lag er – ja, wo eigentlich?
»Wo bin ich?«
    Ein Gesicht erschien dicht vor ihm, eine Frau, jung
und hübsch, mit dunkler Haut, die einen deutlichen
Kontrast zu ihrer hellen Kleidung bildete.
»Wie geht es Ihnen, Signor Rosin?«
     
»Wo bin ich?« wiederholte er und spürte, wie der
    Nebel um ihn her – die Watte – wieder dicker wurde.
Das fremde Gesicht verschwamm. Als es wieder fe
ste Konturen annahm, hatte es sich verändert, war heller geworden und gealtert, von Falten durchzogen und
gekrönt von ergrauendem Haar.
»Häßlich«, sagte Alexander.
Stelvio Donati runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»Das Gesicht der Schwester eben war ein angenehmerer Anblick«, sagte Alexander, und mit jedem Wort
fiel ihm das Sprechen leichter. »Dagegen bist du ein
Ausbund an Häßlichkeit.«
Donati lachte. »Da solltest du dich mal sehen, mein
Lieber! Auf deiner Stirn klebt das größte Pflaster, das
die Welt je gesehen hat. Und darüber kannst du noch
froh sein. Einen Zentimeter weiter, und die Kugel hätte deine Stirn nicht nur geschrammt, sondern glatt
wegrasiert. Du solltest deinem Schutzengel mindestens ein Dutzend Kerzen anzünden.«
Eine hagere Frau im weißen Kittel, schon viel stärker ergraut als Donati, trat an Alexanders Bett. »Ich
bin Dr. Boccia. Wie fühlen Sie sich?«
»Noch nicht ganz so gut wie vor dem Schuß«, sagte
Alexander mit einem gequälten Lächeln. »Stimmt es,
was mein Freund sagt, daß ich mit einer Schramme
davongekommen bin?«
»Ja, aber mit einer ordentlichen Schramme. Hoffentlich steht Ihre Freundin auf Männer mit Narben, denn
Sie werden eine große, sehr gut sichtbare zurückbehalten.« Dabei zeigte sie auf Alexanders Stirn. »Als die
Kugel Sie streifte, hat der Schock Sie fast gelähmt, und
Sie haben vermutlich eine Gehirnerschütterung davongetragen. Die Untersuchungen morgen werden das genauer zeigen. Bis dahin ruhen Sie sich aus!«
Sie verließ das schmale Krankenzimmer, und Alexander sah ihr mißmutig nach. Die Erwähnung seiner
»Freundin« hatte ihm unangenehme Assoziationen
beschert. Er richtete den Blick auf Donati.
»Wie geht es Elena?«
»Sie schläft hoffentlich. Jedenfalls kann sie das
brauchen. Bazzini hat ihr gehörig zugesetzt. Aber
jetzt sollten wir mal über dich reden, mein Freund!
Was hat sich bei Federicos Trattoria abgespielt?«
»Ich war dort um neun mit Emilio Petti verabredet.
Wie lange ist das jetzt her?«
Donati brauchte nicht auf die Uhr zu sehen. »Es ist
kurz vor Mitternacht, also knapp drei Stunden.«
»Petti ist tot, nicht?«
»Toter geht’s nicht.«
»Und die Mörder?«
»Konnten entkommen. Es waren zwei, oder?«
»Ja, zwei«, bestätigte Alexander. »Mehr habe ich
jedenfalls nicht gesehen.«
»Die Zeugen aus der Trattoria, die die Flucht beobachten konnten, haben auch nur von zwei Männern
berichtet.«
»Zeugen?« Alexander horchte auf. »Dann gibt es
eine Beschreibung der Männer?«
»Ja, von hinten. Der eine war sehr groß, der andere
etwas kleiner.«
»Und dem großen fehlt jetzt ein Auge.«
»Das haben wir gefunden. Oder sagen wir, das, was
von dem Auge übrig ist. Und jetzt bitte alles hübsch
der Reihe nach!«
Alexander begann seinen Bericht mit der Fahrt vom
Kloster Sant’Anna in die Stadt und dem unerwarteten
Zusammentreffen mit Petti, und er endete mit dem
nächtlichen Kampf, der einen der Mörder ein Auge,
Petti aber das Leben gekostet hatte.
Donati ersparte sich eine Standpauke wegen Alexanders Geheimniskrämerei; sein vorwurfsvoller Blick
sagte genug. Er fragte nur: »Kann es sein, daß dir jemand zu Federicos Trattoria gefolgt ist?«
»Das glaube ich nicht. Bemerkt habe ich jedenfalls
nichts.

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