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Engelsfuerst

Engelsfuerst

Titel: Engelsfuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Augen, die von innen
zu brennen schienen. Er fürchtete das Gesicht und
den strengen Blick, und doch konnte er sich ein Leben
ohne diesen Mann nicht vorstellen.
»Woher kommst du, Francesco?« fragte Tommasio
leise, aber streng.
»Ich … konnte nicht schlafen, Vater.«
»Woher kommst du?« wiederholte der Abt.
Francesco hielt dem flammenden Blick, der bis auf
den Grund seiner Seele vorzudringen schien, nicht
länger stand und schlug die Augen nieder. »Ich war
bei unserem Gast, Vater.«
»Zu dieser Stunde? Du weißt, daß du die Zelle bis
zur ersten Morgenandacht nicht verlassen darfst.«
»Ich habe nicht in den Schlaf gefunden … und er
auch nicht.«
»So hast du dich mit ihm unterhalten?«
»Ja«, gestand Francesco zögernd.
»Worüber?«
»Über das, was ihn bedrückt.«
»Und was bedrückt ihn?«
Francesco war erstaunt, vergaß darüber seine Scheu
und blickte dem Abt in die Augen. »Aber das mußt
du doch besser wissen, Vater, du hast den halben Tag
mit ihm verbracht.«
»Was er mir gesagt hat, weiß ich, nicht aber, worüber ihr gesprochen habt.«
»Er hat nur Andeutungen gemacht über das, was
ihn bedrückt. Ich habe ihn nicht wirklich verstanden.
Ich glaube …«
»Was?«
»Ich glaube«, setzte Francesco erneut an, »er weiß
das selbst nicht. Deshalb will er sich Rat holen bei seinem Vater.«
Zum ersten Mal seit Francesco seine Zelle betreten
hatte, bewegte Tommasio sich; er machte einen Schritt
nach vorn. »Hat er das gesagt – daß er bei seinem Vater Rat suchen will?«
Nun fühlte Francesco sich einmal mehr wie ein
Verräter. Aber was konnte schon Schlimmes daran
sein, wenn er Vater Tommasio von dem Gespräch mit
Enrico berichtete?
»Er will morgen aufbrechen«, sagte er. »Nach Rom,
um seinen Vater zu sprechen.«
»Weiter!« verlangte Tommasio. »Was noch?«
»Mehr hat er mir nicht erzählt.«
»Damit hast du mir geholfen, Francesco. Aber du
hast auch gesündigt, indem du gegen die Klosterordnung verstoßen und deine Zelle zur Zeit der Nachtruhe verlassen hast. Ich werde dir Gelegenheit geben,
deine Verfehlung zu büßen. Folge mir!«
Francesco wußte, was jetzt kam. Er hatte es schon
oft erlebt, hier in San Gervasio und früher. Während
er Vater Tommasio durch das nachtdunkle Kloster
folgte, bemächtigten sich widerstreitende Gefühle seiner. Da war die Angst vor dem Schmerz, die ihn daran
denken ließ, auf der Stelle kehrtzumachen und davonzulaufen. Aber da war auch die Furcht, Vater Tommasios Wohlwollen zu verlieren, und diese Sorge wog
schwerer. Er würde sich also der Buße unterziehen
und damit den Vater besänftigen.
Sie traten nach draußen in die kalte Nachtluft, die
augenblicklich unter ihre Kutten kroch. Francesco
fror und zitterte, aber das lag nicht nur an der Kälte.
Zielstrebig führte Tommasio ihn zu dem alten Glokkenturm am Rande der Bergkuppe, der als baufällig
galt und von niemandem betreten werden durfte. So
hieß es jedenfalls. Aber Francesco war schon mehrmals hiergewesen. Immer dann, wenn er gesündigt
hatte.
Tommasio nahm den rostigen Schlüssel von der
Kordel, mit der er seine Kutte zusammenhielt, und
öffnete die Tür zum Turm. Im Schein des Kerzenstummels stiegen sie eine gewundene Treppe hinauf,
bis sie den Raum unterhalb des Glockenstuhls erreichten. Er war klein, und in seiner Mitte stand ein
winziger Altar, auf den Francesco die Kerze stellte.
Dabei bemühte er sich, das Wandmosaik, das einen
von Flammen umzüngelten Engel zeigte, nicht anzusehen. Der Engel blickte streng drein, strafend, genau
wie Vater Tommasio, wenn er Francesco bei einer
Sünde ertappt hatte.
Wortlos löste Francesco die Kordel, streifte Kutte
und Unterhemd ab. Kniete sich nackt vor den Altar
und griff nach der Geißel, die darauf lag. Ihre Lederstreifen mündeten in kleine, rotgefärbte Knoten.
Unter den zufriedenen Blicken von Vater Tommasio
schwang Francesco die Geißel und riß die vielen Wunden, die seinen Rücken verunzierten, wieder auf, während er unablässig murmelte: » Totus tuus, Domine. Hic
iacet pulvis, cinis et nihil. Mea culpa, mea culpa, mea
maxima culpa. – Vollkommen der Deine, Herr. Hier
liegen Staub, Asche und nichts. Durch meine Schuld,
durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld.«
15
Rom

E
    r fühlte sich wie in Watte gepackt, Bilder und Geräusche drangen nur undeutlich zu ihm durch.
Ebenso verschwommen und bruchstückhaft waren
seine Erinnerungen.
    Menschen waren gekommen und hatten aufgeregt
durcheinandergeschrien. Andere

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