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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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Regens verhinderte, dass er auch nur ein Wort verstand. Doch der Tonfall und die Lautstärke zeigten, dass sie sich mitten in einem heftigen Streit befanden. Sie standen sich in einem Abstand von etwa drei Metern gegenüber. Eine der Personen streckte gerade den Arm aus und schien den anderen aufzufordern, das Zimmer zu verlassen. Die andere Person jedoch rührte sich nicht, sondern blieb unverwandt stehen. Die erste Person, bei der es sich eindeutig um van Campen handeln musste, drehte sich um, so als wollte sie unmissverständlich den Weg nach draußen weisen. Plötzlich kam Bewegung in die gerade noch regungslos dastehende Gestalt. Mit schnellen Schritten rannte sie der anderen Person nach, griff im Vorbeigehen einen handlichen Gegenstand vom Tisch, erhob den Arm und ließ den Gegenstand auf den Kopf des Vordermannes herabsausen. Als dieser zusammensackte und für Wolfgangs Augen unsichtbar wurde, tauchte auch die zweite Gestalt ab. Nur die Hand erschien noch ein paar Mal in einer auf- und abschlagenden Bewegung.
    Wolfgang zuckte zurück und presste sich den Handrücken auf den Mund. Seine Zigarette lag vergessen auf den nassen Platten und erlosch im strömenden Regen.
    Was hatte er da gerade beobachtet? War er soeben Zeuge eines Mordes geworden?
    Nein! Das konnte nicht sein. Morde geschahen in Theaterstücken und im Fernsehen. Aber das hier war das reale Leben. Hier wurde Leuten nicht einfach die Köpfe eingeschlagen wegen irgendwelcher Lappalien …
    Aber hier handelte es sich nicht um irgendeine unwichtige Kleinigkeit … Dieser Mann da drin hatte seinen Sohn vergewaltigt und seine Tochter in den Tod getrieben.
    Er wusste nicht, wie er selber in van Campens Gegenwart reagiert hätte. Vielleicht war Martin ausgerastet und doch zu so einer Tat fähig? Hatte er nicht heute Abend erst in einem beiläufigen Ton gesagt, dass er van Campen das Genick brechen würde?
    Nein, nein, nein! So was sagte doch jeder Mal daher, wenn er in Rage war. Das hieß noch lange nicht, dass man es auch gleich in die Tat umsetzte.
    Ganz bestimmt hatte er sich getäuscht. Sicher gab es eine einleuchtende Erklärung. Er spähte durchs Fenster und versuchte in dem bunten Farbgemisch, das er durch die verschwommene Scheibe erkennen konnte, Umrisse oder Bewegungen auszumachen. In genau diesem Moment wurde das Licht ausgeschaltet. Er zuckte zurück und fiel fast über die Terrassenbrüstung. Gerade noch rechtzeitig klammerte er sich in den rauen Stein. Sein Herz schlug ihm dabei bis zum Hals.
    ‚Was turnst du hier eigentlich rum?’, schimpfte er und strich sich über das regennasse Gesicht. Er sollte vorn an der Tür stehen und auf die Uhr schauen. Die zwanzig Minuten waren ganz gewiss schon vorbei. Sicher würde er bald erfahren, was vorgefallen war. Bestimmt würde es für alles eine Erklärung geben. Es musste eine Erklärung geben. Eine andere Möglichkeit bestand gar nicht.
    Er stolperte die Treppe hinunter, über den kurz geschorenen Rasen, versenkte auch seinen zweiten Schuh, bei dem Versuch über ein Beet zu springen, in morastiger Erde und kam gerade noch rechtzeitig an der Haustür an, als diese sich gerade öffnete.
    Martins schwarze Gestalt trat aus dem dunklen Haus. In der Hand hielt er eine Mappe. Er zog die Tür hinter sich zu und mit einem winzigen Teil seines Gehirns registrierte Wolfgang, dass er dies mit einer Hand tat, über die er den Ärmel seines Sweatshirts gezogen hatte. Wie beiläufig strich Martin über den Türknauf.
    „Hast du schon die Polizei gerufen?“, fragte er. Seiner Stimme war nichts Auffälliges anzumerken. Er klang, als wäre er gerade vom Einkaufen zurückgekommen.
    „Nein, soll ich? Ich wusste nicht, ob du es ernst gemeint hattest.“
    „Hatte ich, aber das ist jetzt auch egal. Es hat sich eh alles anders ergeben als gedacht.“
    „Was meinst du damit?“ In Wolfgang begannen alle Alarmglocken zu schrillen.
    „Nun, schau“, er hob die Mappe. „Die Zeugnisse. Er hat sie rausgerückt.“
    „Wie? Einfach so?“ Wolfgang musterte Martin von der Seite. Er musste fast rennen, um Schritt zu halten, während Martin die gekieste Auffahrt hinab, dem Tor entgegeneilte.
    „Nein, nicht einfach so. Zuerst hat er sie geholt, um sie mir unter die Nase zu halten. Und dann hat er sie zerrissen.“
    „Er hat sie zerrissen?“
    „Na ja, fast.“ Martin grinste. „Ich war schneller.“
    „Was hast du getan?“
    „Ich hab ihn k.o. geschlagen und die Zeugnisse mitgenommen.“ Dabei wedelte er mit dem

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