Engelsgrab
versuchte, seine aufsteigende Panik zu bekämpfen.
»Als ich am Tatort war – du kannst dir nicht vorstellen, wie das für mich war.« Matthews Stimme wurde brüchig. »Als ich sie da liegen sah und das, was man ihr angetan hatte – mein Gott!«
Er hielt inne und stierte vor sich hin.
»Ich bin durchgedreht, Jack. Einfach so.«
Brady fehlten die Worte.
»Deshalb habe ich meine Jacke über sie gelegt. Damit sich keiner wundert, wenn man meine Spuren an ihr findet. Ich hatte sie ja in meinem Wagen nach Hause gebracht. Und dann – ein paar Stunden später ist sie tot.«
Bradys Magen verkrampfte sich. Er erinnerte sich daran, wie aufgebracht Ainsworth gewesen war, als er mit Conrad erschien. Wahrscheinlich weil Matthews den Tatort verunreinigt hatte.
»Anfangs dachte ich, sie wäre Evie. Wegen der Jacke. Sie hatte Evies Jacke an.«
Brady rieb sich die Schläfen. »Da komme ich nicht mehr mit.«
»Das lange blonde Haar – und die Jacke. Ich dachte, da läge mein kleines Mädchen.«
Erst in diesem Augenblick erkannte Brady, dass Matthews unter Schock stand. Deshalb redete er dieses wirre Zeug und merkte nicht, dass es keinen Sinn ergab.
»Als ich Evie zuletzt gesehen habe, war sie ein Kind«, stellte er erleichtert fest. »Spindeldürr und mit rosafarbener Zahnspange. Unser Mordopfer ist um einiges älter.«
Matthews starrte ihn an und wirkte vollkommen daneben.
»Jimmy! Die Tote ist so alt wie die Frau, die ich letzte Nacht mit nach Hause genommen habe.«
Matthews’ grüne Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Weißt du eigentlich, wie krank du bist?«, stieß er hervor.
Brady hob die Hände. »Jetzt mach mal halblang und reg dich ab. Unser Mordopfer sieht mindestens aus wie zwanzig. Wenn du mich fragst, ist sie um die Häuser gezogen, hat sich flachlegen lassen und ist dabei an den Falschen geraten.«
Matthews sprang auf, die Hände zu Fäusten geballt.
»Herrgott noch mal, Jimmy, an ihr war alles dran. Die Kleine war voll entwickelt.«
»Du krankes Schwein!«, stieß Matthews hervor. »Die Kleine war gerade mal fünfzehn.«
Kapitel 9
»Tut mir leid, Jimmy, aber das kann ich nicht.«
»Natürlich kannst du, wenn du willst.«
Brady schüttelte den Kopf. »Ich darf das nicht für mich behalten. Falls du recht hast, dann reden wir hier von jemandes Tochter. Von einer Fünfzehnjährigen, der einer das Gesicht verstümmelt hat. Wie stellst du dir das eigentlich vor?«
Unterdessen ging Brady durch den Kopf, dass er Matthews einen Gefallen schuldete. Einen großen. Aber das, was er verlangte, war ausgeschlossen, Gefallen hin oder her. Sein Schweigen konnte ihn ins Gefängnis bringen. Er griff nach dem Scotch, besann sich jedoch eines Besseren. Matthews hatte ihm die Lust am Trinken genommen.
Als laut an der Tür geklopft wurde, zuckten sie beide zusammen.
Matthews bedeutete Brady, den Besucher loszuwerden.
Brady stemmte sich hoch.
Wieder wurde geklopft, dieses Mal beharrlicher.
»Ich komm ja schon.« Brady humpelte zur Tür und zog sie einen Spaltbreit auf.
Conrad stand draußen.
»Verdammt«, sagte Brady. »Sagen Sie bloß, das Treffen hat schon angefangen.«
»Vor fünf Minuten. Gates hat mich geschickt. Seine Laune ist nicht die beste.«
»Das hat mir gerade noch gefehlt. Lassen Sie sich irgendeine Entschuldigung einfallen, ja? Ich komme, sobald ich kann.«
»Ich werde mein Möglichstes tun, Sir.«
Erleichtert atmete Brady langsam aus. Auf Conrad war Verlass. Er war ein guter Kerl, und Brady fühlte sich nun noch mieser, weil er Conrad nach der Trennung von Claudia so schlecht behandelt hatte.
Leise schloss er die Tür und wartete, bis Conrad sich entfernt hatte.
»Okay, Jimmy«, wandte er sich zu Matthews um. »Was genau willst du von mir?«
»Dass du mir hilfst. Sieh zu, dass mein Name in dieser Ermittlung nicht auftaucht.«
Fassungslos sah Brady ihn an. Er konnte nicht glauben, was Jimmy von ihm verlangte. Wie zum Teufel würde er Matthews’ Namen da heraushalten können? Was wäre, wenn jemand Matthews mit der jungen Frau gesehen hatte, womöglich kurz bevor sie ermordet wurde?
»Wir könnten es als Ausgleich betrachten«, schlug Matthews vor.
Brady erstarrte. Matthews hatte ihn an seiner verwundbarsten Stelle getroffen. Einmal, als er kurz davor stand, alles zu verlieren, hatte er sich an Matthews gewandt. Der ihm diskret geholfen hatte. Brady wusste noch immer nicht, wie er es geschafft hatte, wollte es auch nicht wissen. Tatsache war, dass Matthews damals für ihn
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