Engelsgrab
Nacht tut mir leid«, entgegnete Brady beschämt.
»Jack«, sagte sie verächtlich. »Wenn du kein Interesse an mir hast, dann hau doch einfach ab.«
Als Brady die Tür öffnete, hörte er noch immer ihr schrilles Gelächter.
Wie befreit atmete er draußen die frische Luft ein und lauschte dem gedämpften Lärm, der aus dem Fat Ox kam. Wahrscheinlich drängten sich alle noch einmal zur Theke, denn die Polizeistunde begann in wenigen Minuten. Gedankenverloren tastete er nach einer Zigarette.
Als hinter ihm die Tür aufging, drehte er sich um und erblickte Conrad.
»Wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt?«, fragte Brady.
»Na, da drinnen. Ich habe Ihre Freundin gesehen.«
»Sie ist nicht meine Freundin.«
»Das freut mich, denn sie hat sich gerade Ben Ellison an den Hals geworfen.«
Brady zündete seine Zigarette an und blies den Rauch in die kalte Luft.
»Den Lehrer werden wir uns noch mal vorknöpfen, Conrad. Dem Kerl traue ich nicht über den Weg.«
»Aber wir haben doch schon Paul Simmons als Mordverdächtigen«, wandte Conrad verwundert ein.
»Sicher«, antwortete Brady. »Aber das heißt nicht, dass wir uns nicht weiter nach dem Freund umschauen, über den das Opfer auf ihrem Blog geschrieben hat.«
»Und jetzt denken Sie, Ben Ellison war dieser Freund?«
»Sagen wir mal, ich halte es für möglich.«
Kapitel 40
Ein lautes Klopfen an der Tür riss Brady aus seinen Grübeleien.
»Herein«, rief er geradezu erleichtert, denn er hatte über sein Leben nachgedacht und die Abwärtsspirale, in der er sich seit Claudias Weggang befand.
»Es geht um Simmons«, verkündete Conrad beim Hereinkommen.
»Was ist mit ihm?«
»Nichts. Ich meine, die Laborberichte haben nichts ergeben.«
»Wie bitte?«
»Mich hat das auch überrascht.« Conrad setzte sich Brady gegenüber. »Aber weder die DNA-Spuren noch die Fingerabdrücke oder Fußspuren am Tatort stimmen mit Simmons überein.«
»Scheiße«, fluchte Brady.
»Er ist auch schon wieder auf freiem Fuß.«
»Und wer, bitte schön, hat das angeordnet?«
»DCI Gates.«
»Großartig. Und das, obwohl ihm die Ergebnisse der Autopsie und Evie Matthews’ Aussage vorlagen?«
»Er hat mit Simmons’ Anwältin gesprochen. Und die sagt, Evies Wort stände gegen das ihres Mandanten.«
»Und wie hat er sich über den Autopsiebericht geäußert?«
»Den sieht er nicht als Beweis gegen Paul Simmons.«
»Und was ist mit dem fehlenden Alibi?«
»Das reicht nicht aus, um ihn länger festzuhalten.«
Brady lehnte sich zurück und wünschte, der Tag, der eben erst begonnen hatte, wäre schon zu Ende.
Zaghaft reichte Conrad ihm die Unterlagen, die er mitgebracht hatte.
Brady nahm sie entgegen. »Der medizinische Bericht«, knurrte er. »Warum hat das so lang gedauert?«
»Adamson hat es ›bürokratische Schwierigkeiten‹ genannt.«
»Hätte ich mir denken können.« Missmutig betrachtete Brady die Unterlagen und fragte sich, wann er wohl den Schlaf bekäme, den er so dringend brauchte.
Als Brady die Unterlagen gelesen hatte, griff er nach dem Telefon und orderte Conrad zu sich.
Während er auf ihn wartete, lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
Ein Hüsteln weckte ihn auf.
Conrad saß vor ihm und reichte ihm einen Becher Kaffee.
»Was würde ich nur ohne Sie machen?« Dankbar trank Brady einen Schluck und setzte sich auf.
»Hatten Sie Gelegenheit, die Unterlagen zu lesen?«, fragte Conrad.
»Ja, aber sehr viel Neues habe ich dabei nicht erfahren. Außer dass Sophie, seit sie elf war, unter Migräne litt. Stressbedingt. Und dass diese Episoden sich häuften, nachdem sich ihr Vater umgebracht hatte. Was für ein nutzloser Haufen.«
»Ähm, wer jetzt genau?«
»Therapeuten«, schnaubte Brady. »Wer sonst? Drei ganze Therapiesitzungen hat Sophie nach dem Selbstmord ihres Vaters bekommen. Und wissen Sie, wie der Befund aussieht? Dass Sophie Stresssymptome zeigt. Wegen dieses Selbstmords und weil ihre Mutter sich wiederverheiratet hat, mit einem Mann, den Sophie nach ihren eigenen Angaben hasste. Diesen Hass deutet Sophies Psychologin als Idealisierung ihres leiblichen Vaters und findet, dass es dem Mädchen deshalb schwerfiel, Paul Simmons als Ersatz zu akzeptieren.«
Brady schüttelte den Kopf.
»Hätte Sophie einen Berater in den Ridges aufgesucht«, fuhr Brady fort, »wäre von Anfang an Klartext geredet und in Bezug auf den Stiefvater nachgebohrt worden. Aber hier lese ich nur den üblichen Stuss über eine ordentliche Familie und eine
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