Engelsgrab
gute Schülerin mit ein paar emotionalen Problemen, die sich nach der schwierigen Zeit der Adoleszenz vermutlich wieder legen. Pech nur, dass Sophie vorher ermordet worden ist.«
Conrad schwieg vorsichtshalber, wohl wissend, dass jedes Wort falsch sein konnte, wenn Brady einmal in Fahrt geraten war.
»Sophie hat Hilferufe ausgesandt, aber niemand hat sie hören wollen. Ihr Vater hat sich der Verantwortung durch Selbstmord entzogen, die Mutter betäubt sich mit Alkohol, und die Therapeutin sieht den Wald vor Bäumen nicht. Sophie war ein kluges Mädchen. Nach außen hin hat sie der Psychotante wahrscheinlich das gezeigt, was die sehen wollte, aber dabei belässt man es doch nicht, oder?«
»Nein«, murmelte Conrad.
»Sie hätte nur einen Menschen gebraucht, der sich wirklich um sie gekümmert hätte.«
Stumm sah Conrad zu, wie Brady den Kaffee in seinem Becher kreisen ließ.
»Aber ich kriege den Kerl, Conrad. Im Moment lacht er sich wahrscheinlich noch ins Fäustchen und glaubt, er ist in Sicherheit, aber nicht mehr lange.« Brady trank einen Schluck und sah Conrad an. »Wollten Sie etwas sagen?«
»Ja.« Conrad räusperte sich. »Ich habe mich mit Ben Ellison befasst. Wussten Sie, dass er nur fünf Minuten vom Beacon und dem alten Bauernhof entfernt wohnt?«
»Nein, Conrad, das wusste ich nicht.«
»Und wir haben einen Anruf erhalten.«
»Einen?«, fragte Brady ironisch. »Ich hätte geschworen, seit der Northern Echo die Belohnung auf fünfzigtausend erhöht hat, klingelt das Telefon ununterbrochen.«
»Ja, schon, aber ich spreche von einer Frau, die am Donnerstagabend im Beacon gearbeitet hat. Sie ist sich sicher, dass an dem Abend ein Mädchen da war, das wie Sophie ausgesehen hat.«
»Ich dachte, Harvey und Kodovesky hätten dort sämtliche Aussagen aufgenommen.«
»Haben Sie ja auch, aber da war sie sich eben noch nicht sicher. Die beiden haben allen Sophies Schulfoto gezeigt, aber das Mädchen im Beacon war geschminkt und ganz anders gekleidet. Es sah wohl viel älter als fünfzehn aus.«
»Und wann war Sophie im Beacon?«
»Kurz nach halb elf ist sie hereingekommen.«
»Allein?«
»Ja, aber sie hat sich dort mit jemandem getroffen.« Conrad machte eine Kunstpause. »Nach der Beschreibung würde ich sagen, dass es Ben Ellison war.«
Adrenalin schoss Brady durch die Adern. Er sprang auf und schnappte sich seinen Mantel.
»Den Rest können Sie mir später erzählen. Holen Sie den Wagen, Conrad. Ich komme gleich nach.«
Als Brady das Revier verließ, fiel sein Blick auf eine Gruppe Betrunkener, die am Ende der Straße krakeelten.
Die verlotterte Gestalt, die am Eingang herumlungerte, nahm er deshalb nicht gleich wahr.
»Haste ma’n Schluck für mich?«, hörte er eine bekannte Stimme fragen und fuhr herum. »Von wegen der guten alten Zeit und so.«
Brady verkrampfte sich. Stumm schüttelte er den Kopf und machte einen Schritt auf Conrads Wagen zu.
Eine knochige Hand krallte sich in seinen Arm. »Kannste denn ’nen Schein locker machen?«
Brady befreite seinen Arm und roch den Fusel im Atem des Alten. Angeekelt wich er zurück.
»Wasn’? Biste jetzt zu gut für mich geworden. Hab hier gestanden und auf dich gewartet. Kannste nich ma mit mir reden?«
Brady drehte sich um und riss die Tür zu Conrads Wagen auf.
»He, du Arsch, ich rede mit dir.« Schwankend kam der Betrunkene ihm nach.
Brady ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und knallte die Wagentür zu. Eine leere Wodkaflasche zerbarst an seinem Seitenfenster.
Conrad griff nach dem Funkgerät.
Brady hielt seine Hand fest. »Fahren Sie einfach los.«
»Sie haben gut reden«, murrte Conrad im Anfahren. »Ist ja nicht Ihr Auto.«
»Drecksack!«, rief der Mann ihnen nach. »Denk bloß nicht, ich würde so einfach verschwinden.«
Conrad drückte aufs Gas. Wenig später warf er Brady einen Blick zu. »Ist alles in Ordnung?«
Brady schaute auf seine zitternden Hände. Er war schweißgebadet.
»Mir fehlt nichts«, erwiderte er.
Noch immer hatte er das Bild des alten Mannes und dessen verwüstetes Gesicht vor Augen. Es war ein Gesicht, das er gehofft hatte nie mehr wiedersehen zu müssen.
Kapitel 41
»Hätte mich auch gewundert, wenn er zu Hause gewesen wäre«, grummelte Brady.
»Mich auch«, entgegnete Conrad. »Vielleicht sollten wir ein paar Stunden schlafen.« Er nickte zu dem Streifenwagen hinüber. »Die Jungs da könnten ihn doch zum Revier bringen. Irgendwann wird er ja auftauchen.«
»Nein, Conrad. Ich werde
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