Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
hielt sie die Handflächen vor die Glasscheibe. Die anheimelnde Hitze und der Geruch des Holzfeuers versetzten sie in versöhnliche Stimmung. Sie war geneigt, die These mit dem psychopathischen Frauenmörder vorläufig fallen zu lassen. Während sie diesem Gedanken nachhing, schlug ihre Laune um in eine aufgekratzte, fast verwegene Erwartungsfreude, die unter den gegebenen Umständen völlig unpassend war.
Aber zur Hölle damit, wer bestimmte, was passend war und was nicht? Sie musste sich täglich mit Arschlöchern wie Wilken rumschlagen, die nach Schweiß und Knoblauch stanken und sich für ungeheuer clever hielten, während sie versuchten, sie aufs Kreuz zu legen. Nicht genug damit, jagte sie ihrer missratenen Schwester nach, die weiß Gott alt genug war, um auf sich selbst aufzupassen. Ihr Alltag war so farblos und hässlich wie die Fassaden der mexikanischen Wohnbaracken hinter ihrem Büro.
Das prasselnde Kaminfeuer lullte sie ein, die Sofapolster, die nach Leder rochen und warmer Eleganz. Die Vorstellung, dass sie mit diesem undurchsichtigen, gut aussehenden Mann in diesem Haus eingesperrt war, fünfzig Meilen von der menschlichen Zivilisation entfernt, lenkte ihre Fantasie in unerwartete Bahnen. Sie presste die Fingerspitzen gegen ihre Schläfen.
Reiß dich zusammen, okay?
Vergeblich bemühte sie sich, das Lächeln zu unterdrücken, das sich erneut in ihre Mundwinkel schlich.
Gabriel stützte sich an der Wand ab und lehnte seine Stirn gegen die Fliesen, während heißes Wasser seinen Rücken hinabrann. Seine Knie schmerzten. Es war nur ein Phantomschmerz, der in zwei oder drei Tagen verschwinden würde. Knochen und Sehnen waren verheilt, die Narben glänzten wie Seidenpapier.
Er wusste nicht einmal, wie viel Zeit er in diesem Kellerloch zugebracht hatte. In seiner Erinnerung verschwammen die Tage zu einem endlosen Albtraum. Die Erkenntnis, wie leicht er sich in die Falle hatte locken lassen, ließ ihn schaudern. Die Jahrzehnte hier draußen hatten ihn sorglos gemacht. Nach seinem letzten großen Streit mit Katherina hatte er sich von seinesgleichen zurückgezogen, in diese tröstliche Einöde, in der niemand versuchte, ihm fremde Regeln aufzuzwingen.
Er starrte hinab auf den Strudel aus Blut und Wasser, der seine Füße umspülte. Es gefiel ihm nicht, aber diese Frau namens Violet hatte ihm höchstwahrscheinlich das Leben gerettet. Als sie seine Ketten gelöst hatte, war er bereits so geschwächt gewesen, dass an eine Flucht aus eigener Kraft nicht mehr zu denken war. Er hatte seine Kerkermeister unterschätzt.
Das Wissen, das er Violet Dankbarkeit schuldete, schürte sein Unbehagen. Halb bereute er, sie mitgenommen zu haben. Das war ein Fehler. Doch sie rührte eine Empfindung auf, deren Existenz er beinahe vergessen hatte. Ihr widersprüchliches Wesen weckte sein Interesse und forderte ihn heraus. Er wollte wissen, was sie auf Matavilya Crest zu schaffen hatte. Warum vor allem hatte sie das Risiko auf sich genommen, ihn dort hinauszuholen?
Entschlossen stieß er sich von der Wand und drehte das Wasser ab. Er war ein erbärmlicher Gastgeber. Vermutlich wollte sie sich genauso dringend Blut und Dreck abwaschen wie er und er ließ sie stundenlang warten. Ein Bild flackerte in seinem Geist auf, gänzlich unerwartet. Er und sie gemeinsam unter dem heißen Wasserstrahl, ihr Körper an seinem. Er schüttelte den Kopf. Das war verrückt.
Im Augenblick forderten andere Dinge seine Konzentration. Er musste nach Los Angeles fahren, um seinen Vater zu warnen. Carl warclever. Nur eine Frage der Zeit, bis er darauf kam, dass er den falschen Mann verhört hatte. Carls Männer würden den Rest der Nacht mit ihrer Suche verschwenden und dann begreifen, dass die Chance vertan war. Danach würde Carl Alternativen in Erwägung ziehen. Er musste wissen, dass das Überraschungsmoment kein zweites Mal funktionierte, und eine offene Konfrontation wagte er nicht.
Gabriel schlang sich ein Handtuch um die Hüften und trat aus der Duschkabine. Sein Blick fiel auf einen Haufen gebrauchter Kleidung. Rasch bückte er sich und warf ihn in die Holztruhe an der Wand. Er wollte nicht, dass ...
Was? Dass sie schreiend davonlief, nachdem sie seine Unordnung in Augenschein genommen hatte? Lächerlich. Das hier war kein romantisches Tête-à-tête. Und Violet wirkte nicht wie eine Frau, die ein verwüstetes Bad in die Flucht jagen konnte. Selbst wenn. Weit würde sie ohnehin nicht kommen.
Violet stand mit dem Rücken zu ihm, als er
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