Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
kühl, wie es möglich war, stellte sie die nächstliegende Frage.
„Wann hat sie diese Diagnose bekommen?“
„Ich weiß nicht.“ Mary legte beide Arme um ihren Körper und wiegte sich hin und her. „Ich sollte Ihnen das nicht sagen. Ich weiß nicht, ob sie das überhaupt will. Sonst hätte sie es Ihnen nicht verschwiegen.“
Das Unbehagen schlug um in Ärger. „Fein.“ Violet riss die Wagentür auf. Sie musste ihren Groll nicht spielen. „Dann behalten Sie es für sich.“ Sie schleuderte die Browning auf den Beifahrersitz und ließ sich hinter das Steuer fallen.
Mary sah auf. „Was machen Sie?“
„Wonach sieht es für Sie aus?“ Violet griff nach dem Sicherheitsgurt. „Ich verschwinde.“
„Aber Emily ...“
„Wenn Sie mir nichts sagen wollen, kann ich nichts tun.“
Mary biss sich auf die Lippen. Schließlich überbrückte sie die Distanz zum Wagen und blieb in der geöffneten Tür stehen. „Also gut.“
„Also gut was?“
„Ich sage es Ihnen. Und dann finden Sie sie und helfen ihr. Versprechen Sie es.“
Gabriel hüllte das Schwert in seine Jacke und warf es in den Fußraum des Pick-ups. Trockener Schlamm bröckelte von der Trittleiste, als er die Tür ins Schloss knallte.
Er hatte sich benommen wie ein Idiot. Je länger er nachgrübelte, desto unwahrscheinlicher erschien es, dass Violet mit Emily gemeinsame Sache machte. Warum sollte ihn die eine Schwester in die Hände von Etherlight liefern, damit die andere ihn wieder hinausholte? Natürlich blieb die Möglichkeit, dass Violet in Carls Auftrag gehandelt hatte, um sein Vertrauen zu gewinnen und ihm Informationen zu entlocken, die er unter der Folter nicht preisgegeben hätte. Doch dann wäre sie kaum so naiv gewesen, Emilys Namen zu erwähnen.
Wie er es auch drehte und wendete, es passte nicht zusammen. Er hatte ihr Unrecht getan. Sie hatte reagiert wie eine Furie. Das war ihr gutes Recht. Was aber nichts daran änderte, dass sie fort war und er sie höchstwahrscheinlich nie wiedersehen würde. Der Gedanke versetzte ihm einen Stich.
Als er in den Wagen steigen wollte, erregte ein Funkeln im Sand seine Aufmerksamkeit. Er bückte sich und entdeckte ein Silberkettchen mit einem filigranen Anhänger. Eine Libelle mit farbig emaillierten Flügeln. Fest schloss er seine Faust um das winzige Ding, als könne er es zu Staub zermalmen. So stand er, minutenlang, atmete tief ein und stieß die Luft wieder aus, in mühsam kontrollierten Zügen. Was war an dieser Frau, das ihn in Rage versetzte? Er war nicht sicher, ob sein Zorn wirklich ihr galt oder sich selbst.
Endlich löste er sich aus seiner brodelnden Starre und schob sich hinter das Lenkrad. Sie war fort und das war vermutlich die beste Lösung. So sehr er die Nacht genossen hatte, Violet blieb eine Ablenkung, die er sich nicht leisten konnte. Nicht, solange das Problem mit Etherlight bestand. Er zog die Tür zu und schaltete die Scheinwerfer an. Die Ebene schimmerte wie Blut und Malvenblüten, als er vom Hof fuhr.
„Es war ein Schock für sie.“
Mary zitterte in der Abendkühle. Die Temperaturen fielen rapide ab, nachdem die Sonne verschwunden war. So wie sie da stand, mit ihren Sandalen und der Seidenbluse, die Arme um den Oberkörper geschlungen, tat sie Violet leid. Sie sah verloren aus.
„Chronische myeloische Leukämie.“
Violet nickte ohne rechte Überzeugung. Es passte nicht zu Emily, dass sie das vor Mutter verschwieg. Normalerweise hielt sie sich nicht zurück, wenn es darum ging, Mitgefühl zu heischen. „Und das war vor zwei Monaten?“
„Aber dann ist sie auf diese Therapie gestoßen. Sie war sehr euphorisch.“
Violet hatte Probleme, ihre Augen auf Mary zu fokussieren. Im Zwielicht glaubte sie eine Bewegung hinter der Blondine wahrzunehmen, kaum mehr als ein Schatten, der nicht mehr da war, als sie genauer hinschaute. Ihre Nerven spielten ihr Streiche. Sie war ausgehungert und übermüdet und ihr Abgang bei Gabriel hatte ihrer seelischen Verfassung nicht gerade gutgetan.
„Emily zog nach Matavilya Crest, um zur Ruhe zu kommen. Die Therapie ist sehr anstrengend. Ich war froh, dass sie gekommen ist. Matavilya Crest ist ein Ort der Kraft.“ Marys Gesicht nahm wieder diesen kindlich-versonnenen Ausdruck an. „Gott hat uns den Weg gewiesen und hier versammeln wir uns unter Seiner schützenden Hand.“
Waren es nur die Schatten, die die Felsen hinaufkrochen und eine Illusion von Bewegung schufen? Violet richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Frau.
„Aber
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