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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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sie lauscht nicht mehr auf Gottes Stimme. Sie verändert sich. Wenn ich versuche, mit ihr zu sprechen, reagiert sie, als wäre sie von einem bösen Geist besessen.“
    „Was meinen Sie damit?“ Das Chaos aus Tabletten und umgestürzten Fläschchen kam Violet in den Sinn.
    „Sie wird aggressiv. Sie greift mich an. Diese Therapie hat sie verändert. Ich kann das Böse an ihr riechen.“
    „Sie greift Sie an?“, fragte Violet ungläubig. „Sie meinen, sie wird gewalttätig?“ Das passte definitiv nicht zu der Emily, die sie kannte. Undenkbar, dass ihre Schwester eine körperliche Auseinandersetzung riskierte.
    Mary nickte.
    „Und was erwarten Sie von mir?“ In gewisser Weise war das noch bizarrer als die Ereignisse der vergangenen Nacht.
    „Sie ist seit drei Tagen verschwunden. Ich versuche, sie anzurufen, aber ihr Telefon ist tot.“
    „Ich weiß“, murmelte Violet.
    „Dann habe ich Carl um Rat gefragt. Aber mir kommt es nicht so vor, als würde er meine Sorgen ernst nehmen.“
    Dass du das Böse an ihr riechen kannst? Natürlich ein guter Grund, um Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen. Violet verbiss sich die Gemeinheit. „Wer ist Carl?“, fragte sie stattdessen.
    „Unser Hohepriester.“
    „Euer Hohepriester.“ Sie ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. Klar, was war eine Sekte ohne Hohepriester? Und die Kerle, die auf sie geschossen hatten, waren wohl die Tempelwachen? An dieser Stelle hätte sie Marys Thesen endgültig als Gestammel einer Verrückten abgetan, wäre da nicht die letzte Nacht gewesen mit den sehr realen Gefahren. Und die Hasstiraden, die Gabriel gegen Carl ausgestoßen hatte. Gütiger Himmel, in was war sie hineingeraten?
    Mary streckte eine Hand aus. „Sehen Sie.“ Ihr Tonfall sank ab zu verschwörerischem Wispern. Eine zerknitterte Schachtel wurde in ihrer Handfläche sichtbar.
    „Was ist das?“
    Marys Lippen zitterten. „Das sind die Früchte des Teufels.“
    Es war fast dunkel, als Violet den gewundenen Pfad hinunterrollte, der zurück zur Interstate führte. Wieder hatte sie die Scheinwerfer ausgeschaltet, doch dieses Mal war es ihr eigener Wagen und sie fuhr Schritttempo, ohne fürchten zu müssen, dass eine Horde schießwütiger Gorillas sie einholte.
    Mary hatte erzählt, wie sie Emilys Zimmer durchwühlt und die Schachtel im Mülleimer gefunden hatte. Es war eine weiße Medikamentenpackung mit dem Aufdruck VORTEC Pharmaceuticals. Zwei schwarze Dragees klebten in der Folie, die den halb aufgelösten Kapseln glichen, die Violet im Waschbecken ihrer Schwester gefunden hatte. Leider hatte Mary sich geweigert, das Böse näher zu beschreiben, das sie darin zu sehen glaubte.
    In sicherer Entfernung vom Plateau schaltete Violet das Licht ein. Sie stellte fest, dass ihr Handy immer noch keinen Empfang hatte, und betastete ihren Ellbogen. Der Schmerz war zu einem erträglichen Pochen abgeklungen.
    Unwillkürlich drifteten ihre Gedanken zu Gabriel, zu der gemeinsamen Nacht und dem ernüchternden Morgen danach. Dieser Schmerz fühlte sich schärfer an, wie eine dünne Klinge tief innen. Ein Kerl, der unverwundbar war und behauptete, von Engeln abzustammen. Großartig. Die Wüste war voll mit Verrückten, und sie hatte mit einem von ihnen geschlafen. Schlimmer noch, sie konnte die Erinnerung nicht einfach abstreifen wie einen Mantel, wie bei anderen Gelegenheiten.
    Ein Schatten riss sie aus ihren Gedanken, eine plötzliche Störung im Scheinwerferlicht. Nein, kein Schatten, eine massive Gestalt. Ein Tier? Ein Hund oder ein Kojote? Sie trat auf die Bremse, doch der Abstand schmolz im Bruchteil einer Sekunde, dann erschütterte der Aufprall den Saab. Ein Krachen und die Fliehkraft schleuderte sie nach vorn in den Gurt. Sie fluchte, in ihren Ohren rauschte das Blut, der Wagen rutschte ein Stück und kam zum Stehen.
    Das durfte nicht wahr sein. Sie hatte ein Tier überfahren! Die Erkenntnis hämmerte durch ihren Kopf und löschte alles andere aus. Sie hatte tatsächlich ein Tier überfahren, in dieser gottverfluchten Einöde, in der man sonst vier Tage ausharren konnte, ohne auch nur eine Eidechse zu Gesicht zu bekommen.
    Ein hysterisches Kichern stieg ihr in die Kehle. Wahrscheinlich hatte sie den einzigen Kojoten im Umkreis von hundert Meilen erwischt, der örtliche Tierschutzbund würde Amok laufen. Das Kichern erstickte, drohte in Schluchzen überzugehen, doch dann hatte sie sich wieder im Griff, biss die Zähne zusammen und richtete sich in ihrem Sitz auf. Das

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