Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
Geld machte, statt mit Drogen zu dealen. Familientradition, war seine Antwort und ein verlegenes Grinsen.
„Die Putzfrau deiner Schwester hat im Büro angerufen“, sagte er. „Sie fragt, ob sie das Honorar in bar bekommen kann anstatt als Scheck.“
„Klar.“ Violet stieß die Tür auf. „Kein Problem.“
Auf dem Weg zurück nach L.A. hatte sie mit Inez telefoniert und die Mexikanerin mit süßer Zunge und dem Versprechen auf ein paar Extradollars überredet, ihr Bescheid zu geben, wenn Emily in ihrem Haus auftauchte. Auch Stephan musste sie noch mal auf den Zahn fühlen. Aber selbst wenn er etwas über ihren Verbleib wusste – die Frage war eher, warum Emily sich versteckte.
„Wie geht’s dir übrigens?“ Marshall drängte sich an ihr vorbei in die Küchenecke und stellte eine Papiertüte auf dem Tresen ab.
„Frag nicht.“ Sie schleuderte die Schuhe von den Füßen und ließ sich auf ihre übergroße, abgeschabte Ledercouch fallen. „Hast du zufällig was in den Nachrichten gehört über eine Schießerei in der Wüste?“
„Kein Wort.“
„Gut.“ Sie hielt Marshall ihr Handy hin. „Sieh dir das mal an.“
Marshall klickte durch die Fotos, dann blickte er stirnrunzelnd auf. „Was ist das?“
„Das ist mir ins Auto gerannt.“
Sein Blick verdunkelte sich. „Davon hast du nichts erzählt.“
Nein, hatte sie nicht. So wie sie auch bei Gabriel ein paar Details ausgelassen hatte. Zum Beispiel, dass sie mit ihm geschlafen hatte. Oder dass er behauptete, von gefallenen Engeln abzustammen und das mit Selbstheilungskräften belegte, die den gesunden Menschenverstand ad absurdum führten.
„Ich hab’s vor lauter Neuigkeiten vergessen. Hast du so was schon mal gesehen?“
„Eine Hyäne?“
„Fast. Könnte eine Hyäne sein, nicht wahr?“ Violet nagte an ihrer Unterlippe. „Aber nicht ganz. Und selbst wenn es eine wäre, was macht die in der Mojavewüste? Falscher Kontinent.“ Sie spürte, wie Ungeduld und die nachschwingende Furcht sich zu Aggression verdichteten.
Marshall legte das Telefon auf den Couchtisch und wandte sich zur Küche. Violet beobachtete aus halb geschlossenen Augen, wie er zwei Pappschachteln aus der Tüte hob, mit Tellern und Besteck hantierte und die Mikrowelle anstellte.
„Willst du Hühnchen Teryaki oder Thunfischsushi?“
„Mir egal. Hast du schon was über diesen Medikamentenhersteller herausgefunden?“
„VORTEC Pharmaceuticals?“ Marshall lachte. „Hör mal, ich bin ein Genie, aber kein Gott, okay? Wir haben erst vor einer Stunde telefoniert.“
„Ja, aber ...“
„Ich habe nachgesehen, was die Suchmaschine so hergibt.“ Er hob den Teller aus der Mikrowelle und stellte ihn vor ihr auf den Couchtisch. Dann richtete er sich mit einer Plastikbox und Stäbchen auf dem Sessel ein. „Guten Appetit. Ich nehme das Sushi.“
Eine Zeit lang aßen sie schweigend. Sie genoss die Stille, die Vertrautheit mit Marshall, das Wohlbehagen, das sich von ihrem Magen ausbreitete. Selbst dieses nagende Gefühl von Verlust, das immer dann aufflammte, wenn ihre Gedanken über Gabriel stolperten, war leichter zu ertragen.
„Willst du wissen, was das Internet über VORTEC zu sagen hat?“, fragte Marshall.
„Ja bitte.“
„VORTEC ist auf Krebsforschung spezialisiert.“
„Krebsforschung“, wiederholte Violet.
„Sie stehen kurz davor, eine vorläufige Genehmigung für den Verkauf eines Medikaments namens Sangrin zu erhalten, das angeblich die Zellveränderungen, die Krebs verursacht, rückgängig machen kann.“
„Oh wow. Wieso habe ich noch nie davon gehört?“
„Weil sie auf Cartoon Network keine Berichte über Krebsforschung bringen.“
Violet packte ihren ausgeblichenen Stoffhasen von der Couchlehne und schleuderte ihn in Marshalls Richtung. Lachend fing er ihn auf.
„Kein Problem, ich habe es auch nicht mitbekommen. VORTEC hat den Heiligen Gral gefunden und wir haben es verschlafen. Krebs wird in Zukunft heilbar sein.“
Emily, Leukämie, die Früchte des Teufels. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Sie wusste nicht viel über Leukämie, eigentlich gar nichts. Leukämie war Blutkrebs, oder nicht? Damit machte die Verbindung zu VORTEC Sinn.
„Das VORTEC Medikament steht kurz vor der Zulassung“, sinnierte sie. „Aber es ist noch nicht draußen. Wie kann sie dann eine Therapie damit machen?“
„Vielleicht ist sie in einer Testgruppe?“
„Möglich.“ Violet drehte die weiße Pappschachtel zwischen den Fingern. „Das ist keine
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