Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
sie in den Broadway fuhr. Trotzdem wuchs eine Unruhe in ihrem Magen, die sie schließlich dazu bewog, an der nächsten Querstraße nach links zu biegen und dann wieder nach rechts, tiefer hinein in das Wohngebiet. Sie spähte in den Rückspiegel und fühlte Erleichterung, dass die Scheinwerfer verschwunden waren. Ihre Berufsparanoia hatte angeschlagen, nichts weiter.
Sie nahm die nächste Verzweigung nach rechts und kehrte zurück auf den Broadway, der sich auf dem letzten Stück belebte. Neonreklamen und Schaufenster erleuchteten die Nacht, in den Eingängen der Läden und Clubs drängten sich Leute.
Vielleicht würde sie es tatsächlich tun, wenn der ganze Ärger mit Emily ausgestanden war. Sich ins Auto setzen und in die Wüste fahren, hinaus zu Gabriels Haus. Was konnte schon schiefgehen? Wenn er ihr einen Korb gab, dann wusste sie wenigstens, woran sie war und konnte aufhören, sich Tagträumen hinzugeben. Sie biss sich auf die Lippen und gab Gas, als die Ampel vor ihr auf Grün sprang.
Wieso beschäftigte sie der Mann so sehr? Weil das Gefühl von Nähe, das sie mit ihm geteilt hatte, immer noch nachhallte? Weil sie sich fühlte wie eine Vierzehnjährige, die unsterblich in diesen süßen Typen aus der Klasse über ihr verknallt war, nachdem der sie hinter dem Spind geküsst hatte, seither aber ignorierte? Nein, das stimmte nicht ganz. Sie war kein Teenager mehr, der einen gestohlenen Kuss mit Liebe verwechselte. Sie hatte ihre Lektionen gelernt. Sie wusste, dass sich etwas zwischen Gabriel und ihr entzündet hatte, das viel mehr war als Triebbefriedigung mit einem attraktiven Fremden.
An der Zweiundzwanzigsten Avenue bremste sie und bog ab. Die Straße war dunkel und leer. Sie parkte vor der Kirche der Chinesischen Einheit vor Gott und lief die fünfzig Yards zurück zu ihrem Apartmenthaus.
„Hey“, klang eine gedämpfte Stimme hinter ihr auf.
Ein Blick über ihre Schulter offenbarte eine Gestalt in Jeans, abgetretenen Boots und viel zu weitem Sweatshirt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
„Sorry, kein Kleingeld“, blieb ihr auf den Lippen kleben, denn im gleichen Moment zog er seine Waffe.
Es war ein großer Trommelrevolver, der silbrig glänzte. Ein antikes Stück, doch sie wollte nicht herausfinden, ob das Ding noch funktionsfähig war oder nicht. Shit, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Ein bescheuerter Junkie, der sich nicht traute, einen Schnapsladen zu überfallen und deshalb lieber Passanten auf der Straße auflauerte.
„Ruhig, Mann.“ Langsam hob sie die Hände. „Ich kann dir fünfzig Dollar geben. Wär das was?“
„Scheiße, nein“, knurrte der Kapuzenmann. Er kam näher und wedelte mit seinem Revolver. „Ich schätze, du hast ’ne Pistole dabei, Schätzchen.“
Sie wollte verneinen, aber er schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab. „Klar hast du eine. Wenn du ein Bulle bist, hast du auch ’ne Knarre.“
Heilige Mutter Gottes, was wollte der Kerl? Er hatte etwas an sich, das ihr Angst einjagte. Vielleicht waren es seine Bewegungen, die zu flüssig wirkten, zu schnell und gleichzeitig unkoordiniert, als verfüge er über eine abnorme Gelenkigkeit, mit der er aber nicht umzugehen wusste.
„Vielleicht habe ich eine“, gab sie zurück. „Aber ich muss sie nicht benutzen, oder?“
„Ich will nur reden, okay?“, kam es rasselnd aus dem Dunkel unter der Kapuze.
Ein Psychopath. Wunderbar. Wir reden ein bisschen und dann mache ich mir eine Kette aus deinen Ohren. „Worüber willst du reden?“ Sie musste näher an ihn heran. Nah genug, um seinen Revolver zu packen und ihn zu entwaffnen. Doch er näherte sich ganz von selbst. Zwei Armlängen entfernt blieb er stehen.
„Was wolltest du von Dan wissen?“
Ah, daher wehte der Wind. Wenigstens die Psychopathentheorie konnte sie fallen lassen. Wahrscheinlich ging es um Drogen oder Autodiebstahl, wenn ein Kerl wie Dan darin verwickelt war und sein Freund hier dachte, sie war ihnen auf der Spur.
„Ich war auf der Suche nach seinem Kumpel.“ Kein Grund, nicht die Wahrheit zu sagen. „Er hat Medikamente bekommen, die nicht ganz koscher waren. Ich ermittle in der Sache.“
„Ohne Scheiß?“
Sie zuckte mit den Schultern, eine Bewegung, die sofort neue Anspannung in seinen Körper schießen ließ. Hitze stieg ihr in den Nacken. Sie musste vorsichtig sein. Der Kerl war hypernervös. „Warum sollte ich lügen?“
„Lass uns da rübergehen.“ Er gestikulierte mit dem Revolver. Violet hoffte nur, dass sein Finger am Abzug
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