Engelskraut
geworden. Verbalinjurien waren geäußert worden, wie man sie unter gebildeten Menschen nicht unbedingt vermutet hätte. Hauptsächlich der Mann hatte böse Worte geäußert, die Frau hörte man weinen. Da hatte Hans es vorgezogen, unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu gehen. Der Streit wurde offenbar fortgesetzt. Weil das Wetter so schön war, standen die Fenster überall offen, da konnte man jedes Wort verstehen. Irgendwann hatte ein Motor laut aufgeheult und ein Auto war mit quietschenden Reifen davongefahren.
Herr Klaussner schien gestern Nacht nicht nach Hause gekommen zu sein. Offenbar hatte er woanders geschlafen, jedenfalls hatte Hans Kleinkauf dessen Auto nicht mehr gesehen, das sonst regelmäßig unter dem Carport parkte.
Vielleicht war der Schatten, den er im Garten gesehen hatte, der Grund gewesen, dass die Polizei gekommen war? Womöglich war eingebrochen worden. Eine andere Erklärung fiel ihm nicht ein.
Die Unwissenheit zermürbte ihn. Unruhig lief er hin und her wie ein Tiger im Käfig. Schließlich fasste er sich ein Herz, ging zum Nachbarhaus und klingelte.
Eine fremde Frau öffnete die Tür. Sie hatte etwas von einer Pfarrerin, wie sie die grauen Haare zum Knoten geschlungen trug. Der knielange, dunkelblaue Glockenrock und die festen braunen Halbschuhe entsprachen nicht gerade der neuesten Mode. Das fiel sogar ihm auf, obwohl er in Modedingen nicht unbedingt bewandert war.
»Entschuldigen Sie die Störung, mein Name ist Hans Kleinkauf«, stellte er sich höflich vor. »Ich bin der Nachbar.«
Die Frau sah ihn unentwegt an. »Ja. Bitte?«, fragte sie nach einigen Sekunden des Schweigens.
»Sind Sie von der Polizei?« Bevor die Grauhaarige etwas entgegnen konnte, fügte er schnell hinzu: »Ich habe da nämlich vor ein paar Tagen eine Beobachtung gemacht. Die hatte ich Frau Klaussner auch mitgeteilt. Und gestern …« Er versuchte, an der Fremden vorbei ins Hausinnere zu schauen. »Ist sie denn da?«
»Frau Klaussner geht es nicht gut«, erwiderte die Frau. »Wenn Sie eine tatrelevante Beobachtung gemacht haben, sollten Sie sich mit dem Polizeipräsidium in Verbindung setzen. Hauptkommissarin Franca Mazzari. Oder Kommissar Hinterhuber.«
»Tatrelevante Beobachtung? Was ist denn passiert?«
»Das wird Ihnen dann mitgeteilt. Bitte entschuldigen Sie mich, ich muss mich um Frau Klaussner kümmern.«
Verwirrt ging Hans Kleinkauf zurück in sein Haus. Im Wohnzimmer schaltete er den Computer an und rief die Homepage des Koblenzer Polizeipräsidiums auf. Die beiden Namen fand er sofort. Franca Mazzari und Bernhard Hinterhuber. Beide gehörten zum K11, dem Kommissariat, das Kapitaldelikte bearbeitete.
Er nahm den Hörer in die Hand und wählte die angegebene Nummer.
16
Ein Glöckchen ertönte. Der Geruch von Tee, Medikamenten und Desinfektionsmitteln empfing Franca, als sie zusammen mit Hinterhuber die Apotheke betrat. Bisher hatte eine robuste Gesundheit dafür gesorgt, dass sie Apotheken nicht allzu oft aufsuchen musste.
»Guten Tag. Sie wünschen bitte?« Eine freundliche Dame undefinierbaren Alters im offenen weißen Kittel trat hinter die Theke. Ein Silberschildchen an ihrem Kittel wies sie als Frau U. Becker aus.
»Wir hätten ein paar Fragen.« Franca zeigte der Dame ihren Dienstausweis. »Franca Mazzari. Kripo Koblenz. Das ist mein Kollege Bernhard Hinterhuber.«
Frau Becker war erstaunt. »Ist denn was passiert?«
Wieder ging das Glöckchen. Ein Kunde betrat den Verkaufsraum. »Guten Tag, Herr Gassmann. Einen Moment bitte, Sie werden gleich bedient.« Und zu Franca und Hinterhuber gewandt: »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Frau Becker führte sie in einen angrenzenden Raum. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Um diese Zeit bin ich mit unserer Auszubildenden allein. Unser Chef ist noch nicht da, der kommt erst später. Wenn Sie mich kurz entschuldigen? Herr Gassmann ist ein Stammkunde.« Sie hob bedauernd die Hände.
»Könnten wir Ihre Auszubildende sprechen?«
»Sie ist im Lager. Kleinen Moment.« Frau Becker betätigte einen Knopf und sprach in eine Sprechanlage. »Sandra, kommst du mal vor ins Büro?« Dann ging sie zurück in den Verkaufsraum, wobei sie die Tür einen Spaltbreit offen ließ.
Ein junges Mädchen erschien, vielleicht 19 oder 20. Mit ihren silberblond gefärbten glatten Haaren und dem Schmollmund ähnelte sie ein bisschen der Sängerin Sarah Connor. Auch sie trug einen weißen Kittel. Auf ihrem Schildchen stand: ›S. Haffmann‹.
»Guten Tag.« Sie schaute
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