Engelskraut
Täuscher. Sie manipulieren, um sich Vorteile zu verschaffen, und manchmal glauben sie tatsächlich das, was sie sagen. Obwohl’s erstunken und erlogen ist. Hat was mit Selbsterhaltungstrieb zu tun. Aber das brauch ich dir eigentlich nicht zu erklären.«
Erleichtert stellte sie fest, dass der Kollege bereits wieder sehr versöhnlich klang. »Ach, Frankenstein, das weiß ich alles. Nur, wo kämen wir hin, wenn wir nicht auch an das Gute im Menschen glauben würden? Solange nichts bewiesen ist, muss man doch immer beide Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
»Na ja.« Er kratzte sich am Kopf. »Ich hatte letztens einen Fall, da ging es um was Ähnliches. SMS kann man auch über Computer verschicken. Und es gibt tatsächlich Firmen, die ihren Kunden den zweifelhaften Service anbieten, Kurznachrichten mit einer beliebigen Nummer als Absender zu versehen. Findest du alles im Internet.«
»Das ist erlaubt?«
»Verboten ist es jedenfalls nicht. Und ergo so was wie ein Freibrief für potenzielle Stalker.«
»Hm. Das hieße aber, derjenige muss Ariane Benders Handynummer gekannt haben.«
»Das ist doch ein Kinderspiel. Heutzutage gehen die alle so sorglos mit ihren Daten um, dass einem manchmal die Haare zu Berge stehen. Da sind sie bei Facebook oder wie diese sozialen Netzwerke alle heißen, haben Hunderte von angeblichen Freunden und verteilen munter ihre Handynummern und weiß Gott was noch alles. Da braucht man sich wirklich nicht zu wundern. Das lädt solche mit weniger seriösen Absichten geradezu ein.«
Sie lächelte und wandte sich zum Gehen. »Danke, Frank. Du hast mir sehr geholfen.«
»Du mich auch«, brummelte er und beugte sich wieder über sein Mikroskop.
»Ach, die Frau Mazzari in unseren heiligen Hallen.« Renate Julien kam um die Ecke. »Zu dir wollte ich gerade.« Sie schwenkte einige Papierseiten. »Das letzte Chat-Protokoll eures Apothekers. Unmittelbar vor seinem Tod hatte er eine Konversation. Das war uns irgendwie durch die Lappen gegangen. Schau’s dir an.«
Neugierig begann Franca zu lesen. Es war ein Chat zwischen Tomtiger und Alraune. Geführt am Sonntagabend, dem Todestag von Jürgen Klaussner. Plötzlich stutzte sie. Dann sah sie auf.
Renate nickte. »Interessant, nicht wahr?«
»Und ob.«
»Hier ist ein Foto von dieser Alraune.« Renate zeigte ihr den Digitalausdruck einer hübsch aussehenden jungen Frau mit blonden Engelslocken. »Na, ist das kein Service?«
»Hast du etwa auch Hinweise auf ihre Identität?«
»Wir haben eine IP-Adresse«, sagte Renate. »Hier in Koblenz. Aber die gehört zum Computer eines Mannes. Ich habe Vergleiche angestellt: Diese Adresse taucht öfter im Zusammenhang mit dem Apotheker auf.«
Renate tippte auf einen Zettel, der mit einer Büroklammer an den Chat-Protokollen befestigt war. ›Alfred Mendiges‹ stand drauf. Es handelte sich um die Emser Straße in Pfaffendorf.
»Hm. Das ist mein heimatliches Revier. Da bleiben wir in jedem Fall dran.«
Als Franca zurück ins Büro kam, war Clarissa dabei, einen Stapel Blätter in den Locher zu legen, um Löcher zu stanzen. Vor ihr auf dem Schreibtisch lagen etliche Leitzordner, in die sie das gelochte Papier einsortierte. Seit sie diese von Franca ungeliebte Arbeit regelmäßig übernahm, quoll das Ablagekörbchen nicht mehr über und alles Wichtige stand wohlgeordnet und griffbereit in den Regalen.
Franca wedelte mit ihren Papieren. »Es gibt interessante Neuigkeiten«, verkündete sie. »Das letzte Chat-Protokoll von Klaussners Laptop.«
»Ich denke, wir haben alle Protokolle bekommen?« Clarissa hielt in ihrer Arbeit inne.
»Die EDV-Leute haben es erst jetzt zuordnen können.« Franca sah von einem zum anderen. »Ihr beide habt mich doch darauf aufmerksam gemacht, dass Alraune und Mandragora dasselbe bedeutet.«
»Ja, und?«
»Wart’s ab. Dass diese Mandragora dem armen Tomtiger ziemlich zugesetzt hat, wissen wir. Aber dass Alraune Tomtiger am Sonntag zu einem Mitternachtsdate in den Paradiesgarten bestellt hat, haut einen doch um.«
»Was sagst du da?« Hinterhuber riss ihr förmlich das Blatt aus der Hand.
»Da ist ja sogar ein Foto dabei«, bemerkte Clarissa. »Die sieht aber nicht aus wie Ariane Bender«, meinte sie enttäuscht.
Hinterhuber wiegte den Kopf. »Da wäre ich mir nicht so sicher. Eine Perücke kann einen Menschen ganz schön verändern. Und ein entsprechendes Fotoprogramm sowieso.«
»Wir haben eine IP-Adresse. Und die stimmt nicht mit Ariane Bender überein. Der
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