Engelskraut
Paradiesgarten.«
Manchmal redete Hinterhuber in Rätseln. »Kannst du mir das mal näher erklären?«
»Von Pflanzen, die maculatum als Beinamen tragen, wird gesagt, dass sie unter dem Kreuz Jesu gewachsen sind und ihre Flecken vom Blut Christi rühren«, erläuterte er. »Schierling. Das ist wirklich ein Hammer.«
»Schierling ist eines der bekanntesten Gifte in der Dichtung überhaupt. Damit wurde schon Sokrates um die Ecke gebracht. Und auch bei Shakespeare kommt es vor«, ergänzte Clarissa. »Im Englischen heißt es ›devil’s flower‹, also Teufelsblume.«
Franca staunte. Was die alles wusste.
»Wenn Schierling so hochwirksam ist, hätte dieses Gift doch ausgereicht. Warum dann aber das andere Zeug?«, fragte Franca.
»Das sind allesamt Halluzinogene. Ergibt einen schönen Cocktail, um jemanden auf angenehme Art ins Jenseits zu befördern. Träume süß und ab mit ihm.«
»Du meinst wirklich, der Mörder von Jürgen Klaussner hat sich so viele Gedanken gemacht?« Clarissa schaute ihn ungläubig an.
»Können wir in die Hirne dieser kranken Typen gucken?«, entgegnete er etwas unwirsch. »Das passt jedenfalls alles haargenau zusammen.«
»Wo kriegt man denn all diese Gifte her?«, fragte Clarissa.
»Wo kriegt man Marihuana her?«, fragte Hinterhuber zurück. »Es gibt für alles einen Markt. Notfalls züchtet man die Pflanzen im Gärtchen hinterm Haus oder in der Badewanne.«
In Francas Kopf wirbelten Bilder durcheinander. »Irene Seiler sagte, dass eines dieser Gifte, also dieser Tropanalkaloide, Mandragora war. Und sie meinte, der Todescocktail, den unser Suizident getrunken hat, war ähnlich zusammengesetzt.«
»Wetten, dass die Rezeptur für so was im Internet steht? Da kann sich jeder nach Herzenslust bedienen.«
»Derjenige, der einen Giftmord ausführt, ist für gewöhnlich ziemlich intelligent und gerissen. Meist haben diese Täter nicht gelernt, Konflikte friedlich zu lösen. Um sich ein solches heimtückisches Verbrechen auszudenken, braucht man ein höheres intellektuelles Niveau und eine lange Vorbereitungszeit.« Clarissa musterte die Kollegen. »Ja, ich hab mich halt ein bisschen schlaugemacht.«
»Wir freuen uns immer, wenn wir was lernen können.« Franca konnte ihr Grinsen nicht verbergen. »Und was hast du sonst noch rausgefunden? Dass Gift die klassische Mordmethode der Frauen ist?«
»Vordergründig ja.« Clarissa nickte. »Aber da wesentlich mehr Männer als Frauen Morde begehen, ist die absolute Zahl der Giftmörder höher als die der weiblichen Giftmörder. Trotzdem wurden Giftmörderinnen viel berühmter als vergleichbare männliche Täter. Von Gesche Gottfried, die ihre Opfer mit Mäusebutter vergiftet hat, hat schon jeder mal was gehört.«
»Aber wie lange ist das her?«, meinte Franca lakonisch.
»Das Blaubeer-Mariechen vom Niederrhein wurde 1983 verurteilt«, erläuterte Clarissa. »Und hinter diesem rundlichen Muttchen hat absolut niemand eine Serienmörderin vermutet.«
30
Einige Aktenordner füllten inzwischen den Fall ›Paradiesgarten‹. Spurensuche einer aufwändigen Detailarbeit, die langsam Früchte zu tragen begann. Puzzleteil fügte sich zu Puzzleteil, aber noch galt es, einige Lücken zu füllen. Eine erneute Lagebesprechung wurde einberufen, alle legten ihre Fakten auf den Tisch und tauschten neue Informationen aus.
Franca hatte das Gefühl, der Täterin ganz dicht auf der Spur zu sein. Dass es sich um eine Frau handelte, dafür sprach inzwischen sehr vieles.
Bei dem Schuhabdruck, den Frankenstein am Tatort gesichert hatte, handelte es sich um einen Sportschuh Größe 39. Die isolierten weißen und gelben Textilspuren waren Baumwollbatistfasern, wie sie beispielsweise in leichter Damensommerkleidung verarbeitet wurden.
Die Analyseverfahren der forensischen Toxikologen waren inzwischen sehr ausgeklügelt, sodass fast alle Gifte mit der richtigen Untersuchungstechnik nachgewiesen werden konnten. Das hatte Irene Seiler bestätigt. Wer früher einem lästigen Mitmenschen eine Prise Arsen oder E 605 ins Essen mischte, wurde meist nicht erwischt und konnte unbehelligt weiterleben und vielleicht sogar weitermorden. Wer heutzutage nicht erwischt werden wollte, musste sich etwas Effizienteres überlegen. Dennoch gab es eine unbekannte Dunkelziffer – niemand konnte mit Sicherheit sagen, wie viele der ›natürlich‹ gestorbenen Tode in Wahrheit unentdeckte Morde waren.
Jürgen Klaussners Mörderin war in einem Personenkreis anzusiedeln, der nicht
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