Engelskraut
Ludmilla nachdachte, umso mehr gewann sie den Eindruck, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht hatte Milla die Geschichte mit dem Stalker erfunden? Aber warum? Um sich wichtig zu machen? Am meisten hatte sie irritiert, dass Ludmilla so gut auf eine Übernachtung bei ihr vorbereitet war.
Dann wiederum hatten Franca Schuldgefühle geplagt, wieso sie so etwas überhaupt denken konnte. Wusste sie doch, in der Nacht schien manches verzerrt, das, bei Tageslicht betrachtet, völlig in Ordnung war.
Nach dieser unruhigen Nacht war es ihr am Morgen besonders schwergefallen aufzustehen. Nur mit Mühe hatte sie sich unter der Bettdecke herausschälen können.
Ludmilla war bereits fertig angezogen und geschminkt. Nach dem Frühstück hatte sie Franca ins Präsidium begleitet, um Anzeige zu erstatten.
»Jetzt müssen wir abwarten«, sagte Franca. »Und denk dran: Bewahr künftige Drohungen auf. Am besten zeigst du sie mir sofort.« Franca umarmte sie. »Lass dich bloß nicht von so einem Typen unterkriegen!«
»Bestimmt nicht.« Ludmilla sah sie aufrichtig an. »Danke, dass du dich gekümmert hast. Ich bring dir demnächst den Kräutertee vorbei, vielleicht kannst du dann besser schlafen.«
Franca schaute ihr nachdenklich hinterher, als sie den Flur hinunter auf den Ausgang zuging.
»Oh, Kuchen. Wie kommen wir denn zu der Ehre?«
Clarissa stellte eine Tortenglocke auf Hinterhubers Schreibtisch.
Seine Augen leuchteten begehrlich, wobei nicht ganz klar war, ob sein Blick eher Clarissa oder ihrem Mitbringsel galt.
»Ich hab gedacht, ich tu uns mal was Gutes. Ananas-Sahne-Torte. Hab ich gestern gebacken.«
»Wirklich selbst gebacken? Na, wir werden aber verwöhnt. Hast du Geburtstag?«
Clarissa schüttelte den Kopf. »Backen ist eine Leidenschaft von mir, die mich ab und zu überkommt.« Es klang halb süffisant, halb amüsiert. Sie nahm ein Messer, schnitt die Sahnetorte in große Stücke und verteilte sie auf Teller.
»Sehr lecker«, ließ sich Hinterhuber nach dem ersten Bissen vernehmen. »Für so was könnte ich töten.«
»Was?« Clarissa riss die Lider nach oben.
Hinterhuber lachte gekünstelt. »War doch nur so ein blöder Spruch.«
»Ich war letztens wieder auf der BUGA«, plauderte Clarissa drauflos, während sie sich das zweite Stück Torte auf ihren Teller lud und Franca sie wieder einmal deswegen beneidete, weil sie sich das mit ihrer Püppchenfigur leisten konnte. »Den Paradiesgarten haben sie genau so hergerichtet, wie er zuvor war. Da sieht man nichts mehr von dem Mord. Ist schon komisch, wenn man weiß, was da passiert ist und nichts erinnert mehr daran.«
Franca wartete darauf, dass Hinterhuber dies entsprechend kommentierte, doch es kam nichts. Er nickte nachdenklich.
Franca hatte ihr Tortenstück aufgegessen, auch ihr schmeckte es gut, aber Hinterhubers überschwängliche Lobhudelei fand sie doch etwas übertrieben. Sie wollte sich gerade den neuesten Berichten zu weiteren Spureneingängen widmen, die sich ungelesen auf ihrem Schreibtisch stapelten, als das Telefon klingelte. Irene Seiler von der Bonner Rechtsmedizin. Franca stellte den Lautsprecher an, damit die beiden Kollegen mithören konnten.
»Euer Apotheker ist mit einem wahren Giftcocktail umgebracht worden«, teilte Irene Seiler mit. »Das meiste davon konnten wir isolieren. Hauptsächlich Tropanalkaloide und Conium maculatum. Das Ganze hätte gereicht, zehn Pferde zu töten.«
»Können Sie das mal übersetzen?«, bat Franca.
»Tropanalkaloide kommen in sogenannten halluzinogenen Drogen vor wie Stechapfel, Mandragora, Belladonna und so weiter. Sie lassen die Herzfrequenz steigen, hemmen die Speichelsekretion und lösen Halluzinationen und Delirien aus. Aber was letztendlich tödlich war, war Conium maculatum«, sagte sie. »Der gefleckte Schierling. Ein hochwirksames pflanzliches Gift. Es wirkt durch aufsteigende Körperlähmung. Der Tod tritt schließlich durch Atemlähmung ein.« Irene Seiler hielt einen Moment inne. »Was mich stutzig macht, ist, dass wir so was in der Art vor Kurzem schon mal hatten.«
»Sie meinen den männlichen Suizid hier bei uns?«
»Genau. Ich werde die Analyseergebnisse noch mal unter die Lupe nehmen und sie miteinander vergleichen. Sie erhalten umgehend einen ausführlichen Bericht.«
Franca bedankte sich und legte auf.
»Conium maculatum.« Hinterhuber, der das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte, nickte. »Das passt.«
»Passt wozu?«
»Zu allem. Zum Auffindeort. Zur Symbolik mit dem
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