Engelskraut
Franca spät am Abend nach Hause kam, lag ein Päckchen vor der Tür. Neugierig öffnete sie es. Es war ein Zellophanbeutel mit einer Kräutermischung. ›Traumtee‹ stand in schön geschwungenen Buchstaben auf einem aufgeklebten und liebevoll verzierten Etikett.
Dem Päckchen lag ein Kärtchen bei. ›Süße Träume wünscht dir Milla‹.
Nett, dass sie daran gedacht hatte. Francas Gefühle für ihre ehemalige Klassenkameradin waren immer noch ein wenig zwiespältig. In bestimmten Momenten fand sie es richtig schön, dass mit Milla ein Stück ihrer Vergangenheit lebendig geworden war. Andererseits geisterte da tief in ihrem Hinterkopf weiterhin ein vages Schuldgefühl herum. Wie sie und ihresgleichen damals mit Ludmilla umgegangen waren, das würde man heutzutage als Mobbing bezeichnen. Auch wenn die Dinge mit anderen Namen versehen wurden, so waren die Tatsachen dahinter äußerst unschön. Ob man es nun Mobbing nannte oder Ausgrenzung, ob man nun Stalking sagte oder Belästigung. Mobbing und Stalking – wie merkwürdig, dass Milla in gewisser Weise von beidem betroffen war. Franca hoffte sehr, dass zumindest dieses Problem bald gelöst werden konnte. Morgen würde sie bei Ludmilla vorbeischauen.
Doch erst einmal kochte sie sich eine Tasse Tee.
32
Franca fuhr mit einem Ruck in die Höhe. Ihr Hals kratzte. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Sie lag im Bett und war total verschwitzt. Das Herz wummerte gegen die Brustwand. Ihr war merkwürdig zumute. Sie hatte etwas Furchtbares geträumt, das seltsam real und irreal zugleich gewesen war. Menschen, die sie kannte, waren in dem Traum vorgekommen, jedoch mit fremden Gesichtern. Alles verschwamm zu einem undeutlichen Muster, verpuffte in bunten Wolken, die sich irgendwo in ihren Gehirnwindungen verloren. Je angestrengter sie dem Traum nachspürte, umso mehr entglitt er ihr.
Sie stand auf, um sich etwas zu trinken zu holen. Schwindel erfasste sie, sodass sie sich einen Moment festhalten musste. Sollten das ebenfalls Auswirkungen der Wechseljahre sein? Na wunderbar, wenn sie die gesamte Palette dessen, was man so kriegen konnte, erwischt hatte.
In der Wohnung war alles ruhig. Kurz öffnete sie Georginas Schlafzimmertür und sah hinein. Ihre Tochter lag ruhig atmend in ihrem Bett. Gestern Abend hatte sie etwas von Problemen mit Maik angedeutet, aber weiter wollte sie sich nicht darüber äußern. Ich muss mich mehr um mein Kind kümmern, dachte Franca. Sie ist jetzt in einem Alter, in dem sie ihre Mutter vielleicht mehr denn je braucht.
Als sie die Tür wieder schloss, überfiel sie erneut ein Schwindelanfall. Ihre Knie fühlten sich an wie Gummi. Sie hielt sich an der Wand fest.
Was war das nur? Sie musste sich unbedingt näher darüber informieren, welche Auswirkungen Wechseljahre haben konnten. Bisher hatte sie geglaubt, sie entkäme dem allem am besten, wenn sie es ignorierte.
In der Küche trank sie ein Glas Wasser, dann ging sie zurück ins Bett und versuchte, noch ein wenig zu schlafen. Das diffuse Übelkeitsgefühl wollte nicht verschwinden und in ihrem Kopf geriet alles durcheinander. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Georgina und ihr Freund. Ludmilla, das hässliche Entlein. Der schöne Schwan. Der Tote im Paradiesgarten. Adam und Eva. Essen von verbotenen Früchten. Zwischen Rosen und Vergissmeinnicht. Rosen ohne Dornen gibt es leider nicht … Doch, die gab es. Was hatte Hinterhuber über Rosen ohne Dornen gesagt?
33
»Weißt du, Hans, es ist nicht besonders schön, wenn man ständig betrogen wird.«
Hans Kleinkauf sah Stephanie Klaussner nickend an. Das konnte er sich vorstellen, obwohl er da nicht so ganz mitreden konnte, weil Ellie und er sich ein Leben lang treu gewesen waren. Das konnte zumindest er von sich selbst mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten.
»Meine Mutter hat mich immer vor Jürgen gewarnt. Sie sah etwas in ihm, was ich in meiner Verliebtheit nicht akzeptieren wollte. Ich fand es einfach toll, dass ein so gebildeter, gut aussehender Mann sich für mich interessierte und schlug alle ihre Warnungen in den Wind. Er fand mich wahrscheinlich deshalb anziehend, weil ich nicht sofort seinem Werben nachgegeben habe und er sich einiges einfallen lassen musste, um mich rumzukriegen. Tja. Und eines Tages war ich nicht mehr ganz so faszinierend.« Stephanie verzog bedauernd das Gesicht. »Nun ja, das ist vorbei. Ich sollte nicht mehr darüber nachdenken. Was zählt, ist das Heute. Mein Leben hier. Mein Kind.« Sie lächelte ihn an.
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