Engelskraut
vorstellen«, sagte Franca mitfühlend. »Hast du eine Vermutung, wer derjenige sein könnte?«
Milla verneinte. »Wenn ich das wüsste, hätte ich das Problem längst gelöst.« Sie lachte unfroh.
»Seit wann wirst du belästigt?«, hakte Franca nach. Ihre Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen.
»Seit ungefähr vier Wochen geht das jetzt. Anfangs hab ich gedacht, es ist ein dummer Scherz. Etwas, das vorbeigeht. Es gibt ständig Männer, die mich anmachen. Bin ich ja gewohnt. Aber offensichtlich hat dieser Mensch Gefallen dran gefunden, mir nachzustellen und mich zu verwirren. Und weil es immer schlimmer wird, dachte ich, ich rede mal mit dir, was ich machen soll. Du hast von Berufs wegen bestimmt Erfahrung mit solchen Dingen.«
Franca nickte. »Ich würde in jedem Fall Anzeige erstatten.«
»Aber wenn ich doch nicht weiß, wer derjenige ist.«
»Dann erstattest du Anzeige gegen Unbekannt. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.«
Mit einer hektischen Bewegung fasste Milla nach ihrem Glas und trank es leer. »Hast du irgendwelches Beweismaterial?«
»Beweismaterial? Inwiefern?« Milla hob die Augenbrauen.
»Mails, SMS, Briefe. Damit hätten wir etwas Konkretes.«
»Also ehrlich gesagt, hab ich den Dreck gleich weggeworfen oder gelöscht. Wer will denn schon so etwas aufheben?«
»Je genauer die Sache dokumentiert ist, umso eher können wir tätig werden. Wie hast du denn auf seine Nachrichten reagiert?«
»Wie schon? Ich hab ihm die Meinung gegeigt.«
»Das war genau das Falsche. Stalker fühlen sich in der Regel ermutigt, wenn man reagiert. Ignorieren ist immer noch das Beste. Viele geben angesichts dieser Strategie auf. Oder suchen sich ein neues Opfer.«
»Wenn ich dem sage, er soll mich mal kreuzweise, empfindet der das als Aufforderung? Das kann nicht dein Ernst sein!«, rief Milla entrüstet aus.
»Leider ist das so. Stalker nehmen die Dinge verdreht wahr. Du darfst nicht vergessen, dass sie psychisch krank sind. Folglich sind sie vernünftigen Argumenten gegenüber nicht zugänglich. Von Drohungen fühlen sie sich provoziert, entsprechende Bemerkungen können sie unter Umständen weiter anstacheln. Ich würde dir also raten, vorsichtig zu sein.«
Milla schluckte. »Habt ihr viele solche Fälle?«
»Stalking ist ein weitverbreitetes Phänomen mit einer hohen Dunkelziffer.« Franca seufzte tief auf. »Seit Einführung der neuen Medien ist Stalking eine riesige Bedrohung. Besonders weibliche Singles sind davon betroffen.«
»Also bin ich keine Ausnahme.« Milla begann erneut, am Nagel ihres Zeigefingers zu knabbern, eine Geste, die Franca inzwischen wohlbekannt war. Obwohl Milla ständig auf ihren Nägeln herumbiss, wirkten diese stets gepflegt. Franca hätte gern gewusst, wie sie das bewerkstelligte. Wahrscheinlich war sie regelmäßige Kundin in einem Nagelstudio.
»Du hast wenigstens deine Tochter«, sagte Milla unvermittelt.
»Kann ich bei dir bleiben?« Sie sah Franca flehend an. »Ich meine, was du gesagt hast, macht mir richtig Angst. Ich trau mich jetzt überhaupt nicht mehr nach Hause.«
Mit dieser Reaktion hatte Franca nicht gerechnet. »Ich helfe dir natürlich gern«, beeilte sie sich zu sagen, obwohl sie über diese Bitte nicht sonderlich erfreut war. »Allerdings weiß ich nicht so recht, wo ich dich unterbringen soll.«
Ihre Wohnung bestand aus drei Zimmern. Dem Wohnzimmer, dem kleinen Schlafzimmer und Georginas Zimmer.
»Ich kann gerne hier auf der Couch schlafen«, meinte Ludmilla.
Franca zögerte einen Moment, doch als sie begriff, dass Ludmilla es ernst meinte und die Nacht tatsächlich auf ihrer Couch verbringen wollte, stand sie auf und holte Bettzeug. »Brauchst du sonst noch was? Zahnbürste? Handtuch?«
Ludmilla wies auf ihren großen Umhängebeutel. »Hier habe ich alles Notwendige drin.«
Sie hat das geplant, schoss es Franca durch den Kopf. Sie hat mich einfach überrumpelt. Aber für einen Rückzieher war es zu spät.
29
Es war merkwürdig, zu wissen, dass noch jemand in der Wohnung war. Franca hörte hin und wieder ein Stöhnen oder Ächzen aus dem Wohnzimmer, wo sich Ludmilla auf der Couch ein Notbett hergerichtet hatte. Sehr bequem konnte das nicht sein.
Gestern Abend hatte sie noch Georginas Heimkehr abgewartet und ihr Ludmillas Anwesenheit mitgeteilt. Die beiden hatten sich kurz beäugt, anschließend war jede in ihr Bett gegangen. Geschlafen hatte Franca kaum. Sie hatte lange wach gelegen und gegrübelt. Je länger sie über das Gespräch mit
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