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Engelskraut

Engelskraut

Titel: Engelskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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bildeten. Lauter vernarbte kleine Wunden. Franca begann, sich echte Sorgen zu machen.
    »Milla?«, flüsterte sie. »Was ist denn bloß mit dir los?«
    Milla wand sich und zuckte. Irgendwann schlug sie die Augen auf. Wie aus weiter Ferne begegnete Franca ihrem Blick.
    »Du? Was machst du denn hier?«, murmelte sie undeutlich. Sie leckte sich über die Lippen. Schluckte hart. Versuchte aufzustehen, verlor sofort das Gleichgewicht und fiel wieder zurück aufs Sofa.
    »Bleib noch liegen«, sagte Franca sanft. Froh, dass sie wieder bei sich war.
    »Kannst du mir was zu trinken holen? Bitte.« Millas Stimme klang wie von weither. »Mein Mund ist ganz ausgetrocknet.«
    Franca ging in die Küche und goss ein Glas Mineralwasser ein, das sie Milla brachte.
    Die Freundin richtete sich auf und trank mit großen, gierigen Schlucken. Sie stellte das Glas ab und wischte sich über den Mund.
    Franca beschloss, die Flucht nach vorn anzutreten. »Milla, was ist los mit dir?«
    Jäh, als habe jemand ein Licht angeknipst, schrak Milla zusammen. Sie sah Franca mit großen Augen an und wischte sich mit fahrigen Bewegungen übers Gesicht. »Was soll schon los sein? Ich hab ein wenig geschlafen. Wird doch wohl noch erlaubt sein.«
    Natürlich, was hatte Franca anderes erwartet? »Nein, du hast nicht geschlafen. Du warst weggetreten.«
    »Ach, sei nicht so pathetisch.« Millas Stimmlage rutschte höher.
    »Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte Franca leise.
    In Millas Augen lag ein harter Ausdruck. »Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Ich hab alles unter Kontrolle.«
    »Was hast du unter Kontrolle?«
    Franca traf ein spöttischer Blick. »Ich werfe ab und zu was ein. Na und? Was ist dabei?« Es klang überheblich. »Oder willst du mich jetzt verhaften?«
    »Warum ritzt du dich?«
    »Was? Du hast sie ja nicht mehr alle. Ich ritze mich doch nicht.«
    »Und woher kommen die vielen Narben auf deinen Armen?«
    »Das sind keine Narben.« Sie zupfte nervös an den Ärmeln ihres T-Shirts.
    »Was dann?«
    »Das ist von einer Hautkrankheit zurückgeblieben.«
    »Milla, ich weiß, dass man sich selbst nur dann Schmerzen zufügt, wenn man es nicht mehr aushält. Wenn das, was man auszuhalten hat, schmerzhafter ist als Ritzen.«
    »Quatsch!«, erwiderte Ludmilla heftig. Plötzlich liefen ihr Tränen die Wangen hinunter. Sie schniefte, suchte nach einem Taschentuch. Fand eines. Schnäuzte sich. Dann schüttelte sie den Kopf.
    »Bitte geh!«, stieß sie schließlich hervor.
    »Kann ich dich wirklich allein lassen?«, fragte Franca unschlüssig.
    Da begann Ludmilla zu lachen. Es war ein unheimliches, dröhnendes Lachen, wie es bisweilen Figuren in Horrorfilmen ausstießen. »Ob du mich allein lassen kannst? Was hast du denn dein ganzes Leben lang gemacht? Hast du dich jemals um mich gekümmert? Du hast dich immer nur lustig über mich gemacht. Ludmilla, der Rotfuchs, hast du mir hinterhergerufen. Ludmilla, das Dummchen mit den Segelohren. Hast du wirklich geglaubt, das hätte ich vergessen? Und all die anderen Demütigungen, die du mir zugefügt hast. Wie du mich vor der ganzen Klasse lächerlich gemacht hast.« Millas Augen sprühten Funken. »Und jetzt spielst du hier den Mitleidsengel und kommst dir wahrscheinlich ganz toll vor. Du verlogenes Biest.«
    Franca zuckte unter der Heftigkeit dieser Worte zusammen. Sie war aufgesprungen, konnte sich aber noch nicht zum Gehen entschließen.
    »Dort ist die Tür!«, schleuderte ihr Milla entgegen und wischte sich mit der Hand über die Nase. »Mach bloß, dass du wegkommst.« Ihre Stimme überschlug sich. »Hau endlich ab!«

36
    Franca saß an ihrem Schreibtisch und brütete vor sich hin. Doch ihre Gedanken waren nicht bei der Arbeit. Der Hass, der ihr aus Ludmillas Worten entgegengeschlagen war, hallte noch immer in ihren Ohren. Wie hatte sie bloß annehmen können, dass die Schulkameradin all die früheren Gemeinheiten jemals hätte vergessen können?
    Hitze stieg in ihr hoch und erinnerte sie an die Veränderung, die in ihrem Körper vonstatten ging. Oder waren es eher die Schuldgefühle, die diese körperlich spürbaren Vorgänge verursachten?
    Kinder waren sie gewesen. Kleine, dumme Kinder, die manchmal dumme Sachen sagten. Jeder tat das in völliger Unbekümmertheit und Franca war wahrscheinlich nicht schlimmer gewesen als der Rest. Ludmilla hatte sich alles gefallen lassen. Sie hatte sich niemals gewehrt, die Hänseleien wortlos erduldet, was die anderen nur noch mehr anstachelte. Offenbar

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