Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsleid (German Edition)

Engelsleid (German Edition)

Titel: Engelsleid (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
Vom Netzwerk:
Mutter hätte das bestimmt gefallen. B e drückt stellte sie fest, dass sie über die Vergangenheit viel zu wenig wusste, als der Pfarrer sie nach wichtigen Ereignissen im Leben der Verstorbenen fragte, die er in seine Traueransprache einbauen wollte. Dabei hatte Laura immer geglaubt, ihre Mutter recht gut zu kennen, zumal sie nach Karls Tod enger zusamme n gewachsen waren. Das vertraute Gefühl erhielt plötzlich einen Riss. Hatte sie sich zu wenig um Mama gekümmert und hatte sie daher von deren Geheimnissen, falls es solche gab, nichts mitb e kommen?
    Die schwierigste Entscheidung stellte für Laura die Wahl des Sarges dar. Als ihr Vater gestorben war, hatte ihre Mutter nicht lange überlegt, ob es eine Erd- oder Feuerbestattung werden sol l te. Wenn man sich verbrennen ließe, wäre am J üngsten Tag kein Gerippe für die Auferstehung vorhanden, argumentierte sie. Der Sarg wiederum fiel schlicht aus. Es gelang der Angestellten des Beerdigungsinstituts nicht, der Witwe ein schlechtes Gewissen einzureden und sie zu überzeugen, dass für den Toten das Beste gerade gut genug wäre. Nein, ein einfacher Sarg genügte völlig, die Gebeine bis zum J üngsten Gericht angemessen aufzubewa h ren. Nur eine Verbrennung sollte es nicht sein.
    Wäre der Anlass nicht so traurig gewesen, hätte Laura zu j e nem Zeitpunkt lauthals gelacht. Und was war mit all den Toten, die vor Jahrtausenden gestorben und deren Gerippe längst ze r malmt oder zerstreut waren? Was war mit den Toten, die es sich nicht ausg e sucht hatten, und unfreiwillig zu Asche geworden waren, bei Hau s bränden oder im Krieg? Gehörten sie nun zu den unglücks e ligen Seelen, denen keine Auferstehung widerfahren würde?
    Aber egal wie sie selbst darüber dachte, es kam nichts anderes i n f rage, als nun auch für ihre Mutter einen Sarg zu kaufen. O b wohl die in Weiß lackierte Ausführung um einiges teurer war , als die naturb e lassene, befand Laura, dass dieser ihrer Mutter zust e hen würde.
    Man stirbt nur einmal, Mama, dachte sie mit einem Anflug von Zynismus. Auf einen Totenschmaus hingegen hatte sie ve r zichtet. Warum sollte sie wildfremde Leute bewirten. Ni e mand hatte gefragt, wie sie sich fühle oder ob sie Hilfe bräuchte. Nicht, dass Laura diese gewollt hätte.
    Das Begräbnis jedenfalls verschlang einen erschreckend gr o ßen Teil ihrer Ersparnisse und sie befürchtete, dass ihre Mutter ihr kaum Geld hinterlassen hatte. Zumindest waren auf dem Sparbuch nicht mal tausend Euro gewesen und andere Geldanlagen waren Laura nicht bekannt. Dennoch, ihr Gewissen hätte ihr nicht e r laubt, an Sarg und Dekoration zu knausern. Schließlich war dies das letzte Mal, dass sie etwas für ihre Mutter tun konnte.
    Ab morgen, beschloss Laura, würde sie wieder arbeiten gehen, und versuchen, in die Normalität des Alltags zurückzufinden. Zum Glück hatte ihr Chef bisher viel Verständnis für ihre Situat i on gehabt. Am Abend stand ihr noch die Wohnungsübergabe an den Hausverwalter bevor. Alles war für die geforderte besenreine Übergabe vorbereitet. Die Möbel, von denen Laura bis auf den alten Ohrensessel nichts behalten wollte, hatte bereits tags zuvor ein Profi für Haushaltsauflösungen abgeholt. Nicht, dass sie di e sen Sessel , der eine so tragische Bedeutung erlangt hatte, beso n ders mochte. Aber ihre Mutter hatte stets betont, dass er ein Fam i lienerbstück sei –   nur, wem hatte er e i gentlich gehört?
    Das ist es also, was bleibt, dachte Laura mit tiefem Bedauern. Ein Grabstein, auf dem bereits der Name ihres Vaters eingraviert war und auf dem der Steinmetz in den nächsten Tagen den ihrer Mutter hinzufügen würde, sowie eine Handvoll Erinnerungen an ihre Kindheit und an Ausflüge mit den Eltern. Und mehrere A k tenordner, die es noch zu durchforsten galt, bevor sie den größten Teil des Inhaltes in den Schredder befördern würde.
     
    Zwei Stunden nach dem Begräbnis drückte Laura die Klingel auf dem Türschild des Notars, mit dem sie einen Termin vereinbart hatte. Es war der einzige Hinweis, den sie nach einem ersten flüchtigen Durchblättern der Akte n ordner ihrer Mutter gefunden hatte. Eine Telefonnummer und der Name Dr. Brandt in einem zugeklebten Kuvert mit der Aufschrift Für Laura – im Erns t fall .
    Der Notar, ein freundlicher Herr um die Fünfzig, trug einen anthrazitfarbenen Anzug, ein weißes Hemd und eine goldfarbene Krawatte. Die schütteren grau melierten Haare waren sorgfältig auf der linken Seite gescheitelt und quer

Weitere Kostenlose Bücher