Engelsleid (German Edition)
waren, zu befreien. Die Macht, sie in Eis, Fels oder Pflanzen zu bannen, war der einzige Vorteil, den die Gefallenen den Dämonen voraushatten. Die Voraussetzungen mussten alle r dings stimmen und es gelang nur, wenn mehrere Engel zusa m menarbeiteten und die Sterne ihnen be i standen.
Azaradeel fühlte, wie sich das schwere Engelsschwert verbo r gen zwischen den Flügeln gegen seinen R ü cken drückte.
» Er hat noch etwas gesagt, ehe das Licht meines Schwertes sein dunkles Herz traf. « Leviathan balancierte über die Firstziegel des Mittelschiffs und Azaradeel blieb nichts anderes übrig, als sich in die Luft zu schwingen und vor ihm zu landen. Konnte er nicht einmal für ein paar Minuten ruhig sitzen oder stehen ble i ben? Die verbal gela s sene, aber physisch unruhige Art seines Freundes war heute abs o lut nervtötend.
» Come on, mach’s nicht so spannend, was hast du aus dem Dämon rausgekriegt? «
» Vor allem hat er gelacht. Und dann hat er gesagt, dass die Zeit nahe ist. Dass die Nephilim die Dämonen befreien werden. «
» Hat er auch gesagt wo? «
» Nein, hat er nicht. « Diese Dämonen waren verdammt harte Kerle. Sie wussten genau, dass sie der Macht des Engelsschwertes nichts entgegenzusetzen hatten , und flehten niemals um ihr L e ben. Dementsprechend gab es für sie auch keine Veranlassung, i r gendwelche Geheimnisse auszuplaudern, die ihrer Art schaden, den Engeln jedoch nützen würden.
» Seit wann machst du dir Gedanken über einen so mittelmäß i gen Bluff. « Azaradeel hatte derartige Drohungen schon häufig erlebt. In der Regel war danach nichts passiert, weder Wochen noch Monate später.
» Ich glaube nicht, dass er geblufft hat « , widersprach Leviathan mit ernstem Gesichtsausdruck, kam einen Schritt näher und legte seine Hände beidseits auf Azaradeels Schultern. » Es gab in letzter Zeit meh r fach Anzeichen dafür, dass uns etwas bevorsteht, mein Freund. Etwas Großes. Hast du davon denn gar nichts mitbeko m men? «
Offenbar hatte er zu sehr in einer eigenen Traumwelt gelebt, seine Fähigkeiten zu schlecht genutzt, sonst hätte er etwas b e merkt. War es verwunderlich? Manchmal fühlte er sich seines eintönigen Daseins müde, abgestumpft und ausgelaugt, auch wenn ihm solche Empfindungen nicht zustanden.
» Nein « , gestand Azaradeel beschämt.
» Schau hinauf. «
Er blickte nach oben und konzentrierte sich, schickte seinen Blick weit in die Atmosphäre über ihnen, analysierte die Planeten- und Sternenkonstellation, soweit seine Sinne reichten. Dann ve r stand er, was Leviathan meinte. In nächster Zeit würde sich über ihnen eine Konjunktion ergeben, die für die Dämonen von Vorteil sein würde – sofern es ihnen gelang, einiger Nephilim habhaft zu we r den und deren Blut zu opfern. Es gab mehrere Orte in Europa, die dafür in f rage kamen, an denen eine unterschiedliche Anzahl von Dämonen gebannt war. Zum Teil erst seit Jahrhunderten, ande r norts seit Jahr tausenden , durch die Erdbewegungen tief im Erdkern , im Inneren der Berge oder unter den Meeren ve r borgen. Von ihnen ging die geringste Gefahr aus. Aber nicht au s zudenken, wenn die anderen Dämonen plötzlich alle wieder frei wären, d e ren Gefän g nis se immer noch gut zugänglich lag en . Der Druck in Azaradeels Brust nahm zu. Er fühlte keine Angst für sich selbst. Ihm würde nichts geschehen, die Menschen hing e gen wären in akuter Gefahr. Dämonen waren die forcierenden Kräfte zu wel t verändernden Aggressionen wie dem Hundertjähr i gen Krieg oder den Weltkriegen gewesen, hatten die Mongolen und die Römer ebenso zum Größenwahn getrieben wie Diktatoren andernorts. Aber auch Pest, Lepra und Cholera gingen auf ihr Ko n to.
Ein Ruck durchzuckte ihn, als sein Bewusstsein zur Erde z u rückkehrte und er mit diesen neuen Erkenntnissen Leviathan in die Augen sah.
» Scheiße. «
» Korrekt. «
» Weißt du Genaueres? Wann, wo, wer? «
» Nein. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Augen offe n zuhalten und jedem noch so kleinen Verdacht nachzugehen. «
Tief Luft holend versuchte Azaradeel seine Gedanken zu or d nen. Es war ihm nicht jeder Ort bekannt, der als Verließ für D ä monen diente, aber die meisten. Stück vor Stück zogen sie an seinem geistigen Auge vorbei. Analytisch begann er sich von Norden nach Süden, von Norwegen und Schweden über Finnland, Holland und Frankreich, östlich über Deutschland, Polen und Rumänien, südlich nach Italien und Spanien durchzuarbeiten.
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