Engelslicht
Luzifer noch nicht angesehen. Sie wollte es nicht.
Suche, wo du nicht suchen willst.
Als sie sich zum anderen Ende der Wiese umdrehte, sah sie das Licht, das Luzifer umgab. Es war prachtvoll und prahlerisch, als wolle er mit allem auf der Wiese wetteifern – dem Obstgarten, dem himmlischen Summen, dem Thron selbst. Lucinda musste genau hinschauen, um ihn klar sehen zu können.
Er war … wunderschön. Bernsteinfarbenes Haar ergoss sich in schimmernden Wellen über seine Schultern. Er war größer und muskulöser, als je ein Sterblicher sein könnte. Seine kalten blauen Augen fesselten sie.
Lucinda konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Dann, zwischen den Takten des himmlischen Summens, hörte sie es. Obwohl sie sich nicht daran erinnerte, das Lied gelernt zu haben, kannte sie den Text, sie würde ihn immer kennen, so wie Sterbliche ihr Leben lang von Kinderreimen begleitet wurden.
Von allen throngewährten Paaren
Keins strahlender ins Auge sticht
Als Luzifer, der Morgenstern
Und Lucinda, sein Abendlicht.
Die Zeilen hallten in ihrem Kopf wider, riefen Erinnerungen wach, die mit jedem Wort auf sie herabregneten.
Lucinda, sein Abendlicht?
Lucindas Seele kam langsam zu einer Erkenntnis, die ihr Übelkeit verursachte. Luzifer hatte dieses Lied geschrieben. Es war ein Teil seines Plans.
Sie war … war sie Luzifers Geliebte gewesen?
In dem Moment, in dem sie sich fragte, ob dieses Grauen möglich war, wusste Luce, dass es die älteste, kälteste Wahrheit war. Sie hatte sich in allem geirrt. Ihre erste Liebe war Luzifer gewesen, und Luzifer war der ihre gewesen. Selbst ihre Namen gehörten zusammen. Sie waren einst Seelengefährten gewesen. Sie fühlte sich verwirrt, sich selbst fremd, als sei sie erwacht und habe festgestellt, dass sie im Schlaf jemanden ermordet hatte.
Auf der anderen Seite der Wiese sahen Lucinda und Luzifer sich beim Namensaufruf an. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, als seine sich zu einem unergründlichen Lächeln verzogen.
Blitz.
Eine Erinnerung in einer Erinnerung. Luce grub sich noch tiefer durch die Dunkelheit, zu dem Ort, an den sie nur mit größtem Widerwillen gehen wollte.
Luzifer hielt sie umfangen, streichelte sie ungeniert mit seinen Flügeln und verschaffte ihr eine unaussprechliche Wonne, dort auf ihrem silbernen Sitz über dem leeren Thron.
Unsere Liebe ist endlos. Es kann nichts anderes geben.
Als er sie küsste, wurden Lucinda und Luzifer die ersten Wesen, die mit einer Zuneigung experimentierten, die über Gott hinausging. Die Küsse waren eigenartig und wundervoll gewesen, und Lucinda hatte mehr gewollt, aber sie hatte Angst vor dem, was die anderen Engel von Luzifers Küssen denken würden. Sie machte sich Sorgen, dass sein Kuss wie ein Brandmal auf ihren Lippen aussehen würde. Vor allem aber fürchtete sie, dass Gott es wissen würde, wenn er auf den Thron zurückkehrte.
»Sag, dass du mich verehrst«, flehte Luzifer.
»Verehrung ist für Gott reserviert«, antwortete Lucinda.
»Nicht unbedingt«, flüsterte Luzifer. »Stell dir vor, wie stark wir sein würden, wenn wir offen unsere Liebe vor dem Thron erklären könnten, wenn du mich verehren könntest und ich dich. Der Thron ist nur einer – vereint in Liebe könnten wir größer sein.«
»Was ist der Unterschied zwischen Liebe und Verehrung?«, fragte sie.
»Liebe ist, wenn man die Verehrung, die man für Gott empfindet, jemandem gibt, der tatsächlich hier ist.«
»Aber ich will nicht größer sein als Gott.«
Bei ihren Worten verfinsterte sich Luzifers Gesicht. Er wandte sich von ihr ab und Zorn keimte in seiner Seele auf. Lucinda spürte eine merkwürdige Veränderung in ihm, aber sie war so fremdartig, dass sie sie nicht erkannte. Sie begann ihn zu fürchten. Er schien vor nichts Angst zu haben, außer dass sie ihn verlassen könnte. Er lehrte sie das Lied über die Größe ihrer Vereinigung. Lucinda musste es ständig singen, bis sie sich selbst als Luzifers Abendlicht sah. Er sagte ihr, dass dies Liebe sei.
Luce wand sich unter dem Schmerz der Erinnerung. Mit Luzifer ging es immer so weiter. Mit jedem Zusammensein, mit jeder Liebkosung von Lucindas Flügeln wurde er besitzergreifender, wurde er neidischer auf ihre Verehrung des Throns, und sagte Lucinda, dass es genügen würde, wenn sie ihn wirklich liebte.
In dieser dunklen Phase gab es einen Tag, an den sie sich erinnerte: Sie hatte auf der Wiese geweint, bis zum Hals in Wolken, hatte von allem wegsinken wollen. Der Schatten eines
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