Engelslicht
Engels schwebte über ihr.
»Lass mich in Ruhe!«, hatte sie gerufen.
Aber der Flügel, der sich um sie legte, tat das Gegenteil. Er hüllte sie ein. Der Engel schien besser als sie selbst zu wissen, was sie brauchte. Langsam hob Lucinda den Kopf. Die Augen des Engels waren violett.
»Daniel.« Sie kannte ihn als den sechsten Erzengel, betraut mit der Aufgabe, über verlorene Seelen zu wachen. »Warum bist zu du mir gekommen?«
»Weil ich dich beobachtet habe.« Daniel sah Luce an, und sie wusste, dass bisher noch niemand einen Engel hatte weinen sehen. Lucindas Tränen waren die ersten. »Was geschieht mit dir?«
Sie suchte lange nach den Worten. »Ich habe das Gefühl, mein Licht zu verlieren.«
Die Geschichte brach aus ihr heraus und Daniel ließ es zu. Seit langer Zeit hatte niemand mehr Lucinda zugehört.
Als sie zum Ende kam, waren Daniels Augen nass von Tränen. »Was du Liebe nennst, klingt nicht sehr schön«, sagte er langsam. »Denk an die Art, wie wir den Thron verehren. Diese Verehrung macht das Beste aus uns. Wir fühlen uns ermutigt, unseren Instinkten zu folgen, aber nicht, uns aus Liebe zu verändern. Wenn ich dir gehören würde und du mir, würde ich wollen, dass du genauso bist, wie du bist. Ich würde dich niemals mit meinen Begierden in den Hintergrund drängen.«
Lucinda ergriff Daniels warme, starke Hand. Luzifer mochte die Liebe entdeckt haben, aber dieser Engel schien zu wissen, wie man daraus etwas Wunderbares schuf.
Plötzlich küsste Lucinda Daniel und zeigte ihm, wie es ging, hatte zum ersten Mal das Bedürfnis, ihre Seele ganz einem anderen zu geben. Sie hielten einander fest, und Daniels und Lucindas Seelen leuchteten heller, zwei Hälften, die als Ganzes besser waren.
Blitz.
Natürlich kam Luzifer zu ihr zurück. Der Zorn in ihm war so stark gewachsen, dass er doppelt so groß war wie sie. Sie hatten einst auf Augenhöhe gestanden. »Ich kann das Joch nicht länger ertragen. Wirst du mit mir vor den Thron treten und deine alleinige Treue zu unserer Liebe erklären?«
»Luzifer, warte …« Lucinda wollte ihm von Daniel erzählen, aber er hätte sie ohnehin nicht gehört.
»Es ist eine Lüge für mich, den verehrenden Engel zu spielen, wenn ich dich habe und nichts anderes brauche. Lass uns Pläne schmieden, Lucinda, wir beide. Lass uns nach Herrlichkeit streben.«
»Wie kann das Liebe sein?«, hatte sie gerufen. »Du verehrst deine Träume, deinen Ehrgeiz. Du hast mich gelehrt, wie man liebt, aber ich kann nicht eine Seele lieben, die so dunkel ist, dass sie das Licht anderer auffrisst.«
Er glaubte ihr nicht, oder er tat so, als höre er sie nicht, denn Luzifer forderte den Thron schon bald auf, alle Seelen in der Wiese zum Namensaufruf zusammenzurufen. Er hielt Lucinda dabei gepackt, aber als er zu sprechen begann, war er abgelenkt, und sie stahl sich davon. Sie ging zur Wiese und wanderte zwischen leuchtenden Seelen umher. Sie sah die eine, nach der sie die ganze Zeit über gesucht hatte.
Luzifer rief laut den Engeln zu:
»Es ist eine Linie in den Wolkengrund der Wiese gezogen worden. Jetzt steht es euch allen frei zu wählen. Ich biete euch die Gleichheit an, eine Existenz ohne die willkürliche Rangordnung einer Autorität.«
Luce wusste, dass er meinte, sie sei »frei«, ihm zu folgen. Luzifer mochte geglaubt haben, dass er sie liebte, aber was er liebte, war, sie mit einer dunklen, zerstörerischen Faszination zu kontrollieren. Es war, als dächte Luzifer, dass Lucinda ein Teil seiner selbst sei.
Sie schmiegte sich an Daniel, genoss die Wärme einer aufkeimenden Liebe, die rein war und ihr Halt gab, als Daniels Name über die Wiese schallte. Er war aufgerufen worden. Er erhob sich über dem Lichtermeer der Engel und sagte mit ruhiger Selbstbeherrschung: »Bei allem Respekt, ich werde es nicht tun. Ich werde nicht Luzifers Seite wählen und ich werde auch nicht die Seite des Himmels wählen.«
Ein Gebrüll erhob sich von den gewaltigen Lagern der Engel, von jenen, die neben dem Thron standen, und vor allem von Luzifer. Lucinda war benommen.
»Stattdessen wähle ich die Liebe « , fuhr Daniel fort. »Ich wähle die Liebe und überlasse euch eurem Krieg. Du machst einen Fehler, dies über uns zu bringen«, sagte Daniel zu Luzifer.
Dann fügte er an den Thron gewandt hinzu: »Alles Gute im Himmel und auf Erden ist aus Liebe geboren. Vielleicht war das nicht dein Plan, als du das Universum geschaffen hast – vielleicht war Liebe nur ein Aspekt in einer
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