Engelslicht
Regenbogens.
Funkelnde Lichter auf dunklem Boden schienen unglaublich weit entfernt zu sein. Luce war in einer anderen Welt, stieg in die Unendlichkeit auf, erhellt vom Schein strahlender silberner Flügel.
Sie schlugen wieder, drängten nach vorne, dann nach hinten, trugen sie höher … höher …
Die Welt war still hier oben, als hätte sie sie ganz für sich allein.
Höher … höher …
Ganz gleich, wie hoch sie war, wurde sie immer von dem warmen silbernen Flügellicht beschirmt.
Sie griff nach Daniel, als wolle sie diesen Frieden mit ihm teilen, um seine Hand zu streicheln, wo sie immer ruhte, um ihre Taille. Ihre Hand fand ihre eigene nackte Haut. Seine Hand war nicht da.
Daniel war nicht da.
Da war nur ihr eigener Körper und ein dunkler werdender Horizont und ein einziger ferner Stern.
Sie schreckte aus dem Schlaf auf. Hoch oben, wach, fand sie Daniels Hände wieder – eine an ihrer Taille, die andere höher, um ihre Brust geschmiegt. Genau da, wo sie immer waren.
Es war später Nachmittag – nicht Nacht. Sie und Daniel und die anderen stiegen eine Leiter aus weichen weißen Wolken empor, die die Sterne verbargen.
Nur ein Traum.
Ein Traum, in dem Luce diejenige gewesen war, die flog. Jeder hatte diese Träume. Angeblich wurde man wach, kurz bevor man auf dem Boden aufschlug. Aber Luce, die jeden Tag im wirklichen Leben flog, war erwacht, als ihr klar geworden war, dass sie aus eigener Kraft flog. Warum hatte sie dann nicht nach oben geblickt, um zu schauen, wie ihre Flügel aussahen, um zu sehen, ob sie herrlich und stolz waren?
Sie schloss die Augen und wollte an diesen anderen Himmel zurückkehren, wo Luzifer nicht auf sie zugedonnert kam, wo Gabbe und Molly nicht verloren waren.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte Daniel.
Sie riss die Augen auf, zurück in der Realität. Die Granitgipfel der Sinai-Halbinsel unten waren so zerklüftet, dass sie aussahen, als bestünden sie aus Splittern von zerbrochenem Glas.
»Was kannst du nicht?«, fragte Luce. »Den Ort des Sturzes finden? Dee wird uns helfen, Daniel. Ich glaube, sie weiß genau, wo er ist.«
»Klar«, sagte er, nicht überzeugt. »Dee ist toll. Wir haben das Glück, sie bei uns zu haben. Aber selbst wenn wir den Ort des Sturzes finden, weiß ich nicht, wie wir Luzifer aufhalten sollen. Und wenn wir das nicht können« – seine Brust hob sich in ihrem Rücken – »kann ich nicht noch einmal siebentausend Jahre durchstehen, in denen ich dich verliere.«
Im Laufe ihrer Leben hatte Luce Daniel grüblerisch gesehen, frustriert, besorgt, leidenschaftlich, wieder grüblerisch, zärtlich, zurückhaltend, verzweifelt traurig. Aber sie hatte ihn nie mutlos klingen hören. Die düstere Kapitulation in seinem Tonfall traf sie unvermittelt, und sie traf sie tief, so wie ein Sternenpfeil, der sich in Engelfleisch hineinbohrte.
»Das wirst du auch nicht.«
»Ich male mir ständig aus, was auf uns zukommt, wenn Luzifer Erfolg hat.« Er ließ sich leicht aus der Formation, in der sie flogen, zurückfallen – Cam und Dee an der Spitze, Arriane, Roland und Annabelle direkt dahinter, während die Outcasts sich um sie herum verteilten. »Es ist zu viel, Luce. Das ist der Grund, warum Engel eine Seite wählen, warum Menschen sich Mannschaften anschließen. Es kostet zu viel, es nicht zu tun, es ist zu schwer, unermüdlich allein weiterzumachen.«
Es gab eine Zeit, da hätte Luce sich instinktiv zurückgezogen, verunsichert von Daniels Zweifel, als würde er auf eine Schwäche in ihrer Beziehung verweisen. Aber jetzt war sie durch die Lektionen aus ihrer Vergangenheit gestärkt. Sie kannte das Maß seiner Liebe, wenn Daniel zu müde war, um sich daran zu erinnern.
»Ich will es nicht alles noch einmal durchmachen. All diese Zeit ohne dich, immer zu warten, mein dummer Optimismus, dass es eines Tages anders sein würde …«
»Dein Optimismus war berechtigt! Sieh mich an. Sieh uns an! Das hier ist anders. Ich weiß, dass es anders ist, Daniel. Ich habe uns in Helston und Tibet und Tahiti gesehen. Wir waren verliebt, klar, aber es war kein Vergleich zu dem, was wir jetzt haben.«
Sie ließen sich weiter zurückfallen, außer Hörweite der anderen. Sie waren einfach nur Luce und Daniel, zwei Liebende, die am Himmel miteinander sprachen. »Ich bin immer noch hier«, sagte sie. »Ich bin hier, weil du an uns geglaubt hast. Du hast an mich geglaubt.«
»Ich habe an dich geglaubt – und ich glaube immer noch an dich.«
»Ich glaube auch an
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