Engelslieder
Autumn wachte nicht auf. Der Mann mit dem Messer ging auf das Bett zu, und die Frau stieß einen weiteren spitzen Schrei aus. Er stürzte sich auf sie, versenkte ein letztes Mal das Messer in ihr und riss es nach oben. Dann war es still.
Nein …!
Autumn wimmerte vor Angst, als die Männer von dem Bett zurücktraten. Sie sah eine junge Frau Anfang zwanzig in einem kurzen blauen Nachthemd, die weit geöffneten Augen starrten an die Decke, der Mund stand weit offen, eingefroren in einem letzten stummen Schrei.
Autumn wand sich im Bett, kämpfte, um endlich aufzuwachen, warf den Kopf hin und her. “Nein …
Nein …”
Ihr Herz klopfte wie verrückt, sie war schweißgebadet. Als die Männer sich umdrehten und auf die Tür zugingen, konnte sie zwar die Gesichter nicht erkennen, aber durch die Löcher in der Maske, die ihre Münder zeigten, sah sie sie lächeln.
Autumn riss die Augen auf und fing zu schreien an.
“Autumn! Autumn, um Himmels willen, wach auf!” Ben packte sie an den Schultern und schüttelte sie. “Es ist ein Traum, Autumn! Sonst nichts. Nur ein Traum!”
Sie drehte sich zu ihm, sah ihn mit glänzenden, tränenerfüllten Augen an und warf die Arme um seinen Hals. “Oh Gott, Ben. Oh Gott, oh Gott.”
Ihm zog sich die Brust zusammen. Sie hatte geträumt, und sie hatte Todesangst. Seine Hände begannen zu zittern. Er wollte nicht wissen, was sie gesehen hatte. “War es … war es Molly? Ist ihr … ist ihr etwas zugestoßen?”
Autumn schüttelte schnell den Kopf. “Nein, nein, ihr nicht. Oh Gott, Ben, sie haben sie umgebracht. Ich habe es gesehen. Ich habe gesehen, wie sie sie mit einem Fleischermesser umgebracht haben.”
“Ganz ruhig.” Er atmete tief ein, um nicht die Fassung zu verlieren. “Du sagst, es war nicht Molly. Wenn sie es nicht war, wer war es dann? Wessen Mord hast du beobachtet?”
“Ich weiß es nicht. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen.”
“Hat es der blonde Mann getan?”
“Keine Ahnung. Es waren zwei Männer, und sie trugen Skimasken. Sie waren … sie waren in einem anderen Haus, nicht in dem Haus, in dem Molly lebt … irgendwo anders.”
“Okay, beruhig dich.” Einen Rat, den er selbst zu befolgen versuchte. “Atme tief ein und langsam wieder aus.” Sie gehorchte. “Besser?”
Sie nickte langsam.
“Gut … jetzt erzähl mir genau, was in dem Traum geschehen ist.” Er wünschte, er hätte das Diktiergerät da, aber es lag auf dem Nachttisch in Autumns Wohnung.
“Sie haben auf sie eingestochen.” Sie presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen, doch die Tränen liefen unter ihren Wimpern hervor. “Zweimal, glaube ich.” Sie sah ihn mit tränenüberströmtem Gesicht an. “Sie haben … sie haben gelächelt, Ben. Sie haben sie ermordet, einfach liegen gelassen, und dann haben sie gelächelt.”
Ben zog sie näher an sich und hielt sie fest, bis ihr Körper endlich aufhörte zu zittern.
Er strich ihr ein paar Haarsträhnen zurück. “Vielleicht war es diesmal ja wirklich nur ein Traum. Du kanntest die Leute nicht. Du hast gesagt, es war alles anders. Vielleicht hat es überhaupt nichts mit Molly oder deinen anderen Träumen zu tun.”
“Ich habe Berge gesehen … durch das Fenster im Wohnzimmer. Es war nicht dort, wo Molly lebt, aber ich glaube, es war in der Nähe.”
Er schob sie ein Stückchen weg, griff nach seinem Bademantel, der am Fußende des Bettes lag, und legte ihn ihr um die nackten Schultern. “Fang noch mal von vorne an. Und zwar ganz langsam.”
Während der folgenden Minuten hörte er geduldig zu, als Autumn den brutalen Mord an einer hilflosen jungen Frau schilderte und die beiden Männer beschrieb, die das Verbrechen begangen hatten. Die Frau war blond, und in der Ferne sah man die Berge.
Zufall? Er betete, dass es einer war, er betete, dass es nichts mit ihrer Suche nach Molly zu tun hatte, aber er schaffte es nicht, sich davon zu überzeugen.
Sie waren beide viel zu wach, als dass sie hätten weiterschlafen können. Er musste sich Notizen machen, alles aufschreiben, also gingen sie in die Küche. Autumn trug noch immer seinen Bademantel, der über den Boden schleifte und ihren zierlichen Körper vollständig einhüllte.
Ben bemühte sich, seine Gedanken zu sortieren und sich zu konzentrieren. Offenbar bezogen sich Autumns Träume sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart – und im Fall der Teenager vor fünfzehn Jahren sogar auf die Zukunft. Falls ein Mord geschehen war, würde das früher oder
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