Engelslieder
an der Stelle stehen wir jetzt.”
“Und wieso können wir es dann nicht sehen?”
“Weil es dunkel wird.” Autumn drehte sich um und ließ den Blick abermals durch den Wald schweifen, in dem es von Minute zu Minute finsterer wurde.
Sie beide waren ramponiert und erschöpft. Auf Bens Schulter war ein faustgroßer Bluterguss zu erkennen. Sein Knöchel pochte bei jedem Schritt; seine Hände waren aufgeschürft und bluteten. Aber sie hatten es bis nach oben geschafft.
Leider hatten sie länger gebraucht als erwartet, und nun fanden sie diese gottverdammte Hütte nicht. Allmählich machte sich in Ben die Panik breit.
“Hol doch mal die Taschenlampe heraus”, schlug Autumn vor. “Ich glaube, die könnte uns jetzt nützlich sein.”
Er setzte den Rucksack auf dem Boden ab und kramte die Lampe hervor, schaltete sie ein und leuchtete damit durch den dichten Wald.
“Warte – mach sie wieder aus.”
“Warum?” Ben drückte auf den Knopf, sodass sie wieder in absoluter Dunkelheit standen.
“Ich glaube, kurz bevor die Taschenlampe anging, habe ich dort drüben ein anderes Licht gesehen.” Sie zeigte in die entsprechende Richtung und folgte einem Wildpfad durch die Bäume. “Da! Siehst du?”
Es war nur ein blasser gelblicher Schimmer in der Dunkelheit, aber als sie den Pfad weitergingen, erkannte Ben, dass es sich um Kerzenlicht handelte, das von Vorhängen gedämpft wurde. Eine dünne Rauchfahne stieg aus einem kleinen, steinernen Schornstein auf dem Dach auf.
Es schnürte ihm die Brust zu. Sie hatten sie gefunden – Beechers
heilige Stätte
. Am liebsten wäre er zur Tür gerannt, um sie, falls notwendig, einzutreten. Er wollte zu Molly und sie vor dem Grauen schützen, das Eli ihr womöglich in diesem Moment antat. Doch er zwang sich zur Ruhe.
“Das muss es sein”, flüsterte Autumn.
“Ja.” Wieder stellte Ben den Rucksack ab und holte seine Pistole hervor. Er legte den Finger auf die Lippen und bedeutete Autumn, ihm zu folgen. Als sie sich dem Holzhaus näherten, konnten sie von drinnen Stimmen hören.
“Na, was sagst du, siehst du nicht hübsch aus?” Es war eine Männerstimme, tief und etwas heiser.
Ben hörte das leise Wimmern eines Kindes. Der Laut ging ihm durch Mark und Bein.
“Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen, was Gott einem gegeben hat”, sprach die heisere Stimme. “Zwischen einem Mann und seiner Braut gibt es keinen Platz für Scham. Also zieh dir jetzt das Kleid aus, und leg dich ins Bett.”
Bens Körper verkrampfte sich. Er sagte sich, er müsse seine Wut im Zaum halten. Er müsse vorsichtig sein. Er durfte nicht riskieren, dass Molly etwas zustieß.
“Hast du gehört, Mädchen?”
“Ich möchte das nicht, Eli.”
“Du tust, was ich dir sage, und nimmst deinen rechtmäßigen Platz als meine Ehefrau ein, so wie es für dich vorgesehen ist. Leg dich jetzt in dieses Bett, bevor ich dir ein paar verpasse.”
Heißer Zorn stieg in Ben auf, und einen Moment lang sah er rot. Er hob die Pistole und umschloss mit beiden Händen den Griff. Doch er schaffte es, sich zu beherrschen.
“Ruhig”, raunte Autumn ihm zu. “Du musst an Molly denken. Ihr darf bei alledem nichts passieren.”
Er atmete langsam aus und nickte, wobei er den Impuls niederkämpfte, die Tür einzutreten und Eli Beecher genüsslich in Stücke zu reißen. Ben griff nach der Türklinke und drückte sie leise nach unten. Er war nicht überrascht, die Tür unverschlossen vorzufinden. Eli Beecher hatte ein ausgeprägtes Ego. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, dass ihn irgendjemand daran hindern könnte, seinen Willen durchzusetzen.
Ben machte einen Schritt zurück und trat die Tür auf. “Keine Bewegung! Bleiben Sie genau dort stehen, wo Sie jetzt sind!” Er richtete die Waffe auf Elis Brust. Molly stand in einem weißen Baumwollhöschen neben ihm und zitterte am ganzen Körper. Das Baumwollkleid hielt sie eng an die kleinen Brüste gedrückt.
“Es ist alles in Ordnung, mein Schatz”, sagte er und bemühte sich, die Wut in seiner Stimme zu unterdrücken. “Du bist in Sicherheit. Alles wird wieder gut.”
Die Mischung aus Wut, Schmerz, Liebe und Freude lag ihm wie ein Felsbrocken auf der Brust, und er blinzelte schnell die Tränen weg, die in seinen Augen brannten. Er hätte sie überall wiedererkannt – die sanft geschwungenen Augenbrauen, die hübsch geformten Lippen, das sanfte Blau ihrer Augen.
“Molly, ich bin dein Vater. Ich habe dich von dem Tag an gesucht, als Eli
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