Engelslieder
glaube, es wird mir Spaß machen.”
Falls er ernsthaft an dem Sport interessiert ist, dachte Autumn, könnte er nach einer Weile sogar richtig gut werden. Er hatte Kraft, war gut gedehnt und durchtrainiert. Und in seinen Bewegungen lag eine Anmut, die nur die wenigsten Männer hatten.
Sie tranken den Wein aus und stellten die Gläser ab.
“Dann mal los”, meinte Ben und stand auf. “Nimm besser eine Jacke mit. Zu dieser Jahreszeit wird es abends immer recht frisch.”
Sie sah zu ihm hinauf. Eigentlich war er hier, um etwas über sie zu erfahren, aber
sie
hatte soeben etwas über
ihn
gelernt: Ben McKenzie war ein Beschützertyp. Sie holte die marineblaue Jacke von der Garderobe im Eingangsbereich; Ben nahm sie ihr aus der Hand und half ihr galant hinein.
“Danke.” Sie lächelte, doch in der nächsten Sekunde fiel ihr ein, dass er an jenem Abend im Luigi’s auch Delores Delgato aus ihrer teuren Kaschmirjacke geholfen hatte, und ihr Lächeln verschwand wieder.
Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. In diesem Augenblick wünschte sie, sie hätte niemals von Molly geträumt und sich nie in diese Situation gebracht. Aber sie hatte sich nun mal bereit erklärt, Zeit mit Ben McKenzie zu verbringen – einem der wohlhabendsten, begehrtesten Junggesellen in ganz Seattle.
Sie war kein Dummchen. Ben war attraktiv und einflussreich. Und dieser schlanke, muskelgestählte Körper übte auf sie eine sexuelle Anziehung aus, wie sie es noch nie erlebt hatte. Sie musste aufpassen, musste die Distanz bewahren und sich auf ihr Ziel konzentrieren.
Denk an Molly, soufflierte sie sich selbst, bevor sie an ihm vorbei durch die Wohnungstür ging, die er für sie aufhielt.
Die Filiale war todschick. Zweigeschossig mit einer Galerie, in der teure Sportbekleidung ausgestellt war. Der Hauptverkaufsraum war in verschiedene Bereiche unterteilt, jeder bot Platz für eine andere Sportart. Überall zierten riesige Bilder von Extremsportlern die Wände: Skiläufer in pudrigem, unberührtem Tiefschnee, Snowboardfahrer auf anspruchsvollen Pisten der Kategorie “doppel-schwarz”, Mountainbike- und Motocrossfahrer, Bergsteiger, Drachenflieger. Die Kletterer bildeten keine Ausnahme. Ein fantastisches Poster zeigte einen Klettersportler an einem Überhang einige tausend Meter über dem Erdboden – wie eine Fliege hob er sich horizontal gegen die prächtige Felslandschaft ab.
“Also dann”, sagte Ben, während er sie in diese Richtung dirigierte. “Nimm einfach alles, was ich deiner Meinung nach brauche – egal, was es kostet.” Er grinste. “Ich bekomme hier höllisch viel Rabatt.”
Autumn ignorierte das Kribbeln, das sein verschmitztes Grinsen in ihrem Bauch auslöste, und machte sich an die Arbeit, wobei sie sich jeden Ausrüstungsgegenstand sorgfältig ansah. Es dauerte zwar eine Weile, machte jedoch irgendwie Spaß. Stellvertretend für Ben verspürte sie den Nervenkitzel desjenigen, der sich ohne Rücksicht auf den Preis kaufen konnte, was sein Herz begehrte. Sie war ihm dabei behilflich, den Klettergurt auszusuchen, der für einen Einsteiger mit seiner Statur am besten geeignet war. Außerdem Kletterseil, Karabiner, Klemmkeile, Zelt und Schlafsack in Ultraleichtausführung sowie wasserdichte Taschen zum Verstauen der Ausrüstung.
Ben bestand darauf, sich Kletterkleidung auszusuchen: leichte und strapazierfähige Kleidungsstücke mit vielen Taschen. Als sie das Geschäft verließen, trug er zwei Armvoll Kletterartikel hinaus.
“Lass uns ein Taxi nehmen”, schlug er vor. “Ich will das Zeug nur kurz in meine Wohnung bringen, und danach gehen wir was essen.”
Erneut wurde sie nervös. “Ich glaube, ich gehe direkt nach Hause.”
Ben sah sie fest an. “Du kennst den Deal. Je eher ich überzeugt bist, dass ich dir vertrauen kann, desto eher können wir mit der Suche anfangen – vorausgesetzt, es findet überhaupt eine statt.”
Autumn seufzte. “Also gut, gehen wir essen.” Sie wartete im Taxi auf Ben, während er die Taschen hinauf in seine Wohnung schleppte.
“Du kannst gern mit hochkommen”, hatte er angeboten, doch Autumn hatte abgelehnt und wartete nun, dass er zurückkam.
Der Wind zerrte an ihren Haaren, und die Luft war feucht und belebend, als sie vor dem “Solstice” aus dem Taxi stiegen. Es lag in der Nähe des Pioneer Square und gehörte zu Seattles neueren, aktuell angesagten Lokalen. Es war am Freitagabend gut besucht, doch da Ben den Besitzer kannte, saßen sie bereits nach kurzer Zeit an einem
Weitere Kostenlose Bücher