Engelslust
flüsterte Magnus.
Rowan lächelte. »Nein, keine Rätsel. Bald wirst du verstehen.«
»Verflucht seist du, Thorne!«, schrie der Engel namens Cain plötzlich zu ihnen herüber, die blutüberströmte Dämonin in den Armen. Sein verzweifelter und zugleich hasserfüllter Blick sagte Magnus, wie sehr der Engel diese Frau liebte.
»Oh Gott, was habe ich getan?« Magnus glaubte zu ersticken. Es wurde kurz schwarz vor seinen Augen. Auch dem Engel hatte er seine Liebe genommen. In diesem Moment wünschte er sich, selbst zu sterben.
»Es ist noch nicht zu spät«, sagte Rowan und schaute auf den Kelch.
»Cain?«, hauchte Raja, ihr Mund bewegte sich kaum. »Ich kann nichts sehen und ich spüre meine Beine nicht.«
Cain erstarrte, doch sein wild schlagendes Herz legte noch einmal an Tempo zu. »Raja!« Trotz ihrer schweren Verletzungen war sie bei Bewusstsein. Ihr Atem ging röchelnd. Ihre blutunterlaufenen Augen suchten seinen Blick. »Warum ist es so dunkel?«
Cain fühlte, dass die Stelle an ihrem Hinterkopf, dort wo auch das Sehzentrum lag, nur noch aus einer breiartigen Masse bestand. Die nassen Haare klebten an seiner Hand. Blut lief an Rajas Mundwinkeln herab. Sie war blind. Es grenzte an ein Wunder, dass sie noch mit ihm sprechen konnte. Es tat so weh, Raja in diesem schrecklichen Zustand zu sehen, dass Cain am liebsten geschrien hätte.
»Ich bin hier«, sagte er so ruhig wie möglich. »Ich pass auf dich auf, Kleines.«
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als er sie so nannte, und ihre Augen schlossen sich. »Du darfst mich ab jetzt offiziell Raja nennen. Du darfst das, weil …« Weiter kam sie nicht, denn sie schien immer wieder das Bewusstsein zu verlieren. Wenn sie jedoch wach war, verzog sie ihr Gesicht und presste die Lippen fest aufeinander. Sie stöhnte.
Cain hatte noch nie so einen unvorstellbar großen Schmerz gefühlt. Raja derart leiden zu sehen, verstärkte seine eigene Pein. Alles war verloren. Raja würde sterben und Thorne hatte sein Werk vollendet.
Mit der Frau, die er über alles liebte, auf seinen Armen, befand sich Cain am Rand des Steinkreises und blickte verzweifelt in dessen Mitte, wo immer noch diese Fremde zwischen Thorne und Amabila stand. Alle drei schauten zu ihm herüber.
Cain spürte, wie das Leben zu schnell aus Raja herausrann. Niemand würde ihr mehr helfen können, weder die besten Ärzte noch die fähigsten Heiler. Sie war bereits verloren. Ihr Herz schlug kaum noch.
Wenn sie starb, wollte er auch nicht mehr leben. Ohne zu zögern, würde er seine Unsterblichkeit eintauschen, wenn er dafür noch einen einzigen wundervollen Augenblick mit Raja geschenkt bekäme.
Flatternd öffneten sich ihre Lider. »Cain … Auch wenn du mich verachtest, weil ich zur Hälfte eine Dämonin bin …« Ihr Röcheln nahm zu. Ein Schwall Blut lief aus ihrem Mund und sie hustete. Doch Cain hörte die Worte, die schwach über ihre Lippen kamen: »Ich liebe dich …«
Cains Herz verkrampfte sich, dann schlossen sich ihre Augen. Ihr Körper in seinen Armen erschlaffte.
»Raja!« Die Welt vor Cains Augen verschwamm. »Raja!!!«
Lieber Gott, sie durfte nicht sterben! Es war allein seine Schuld, dass sie derart töricht gehandelt hatte, nur weil Raja ihm beweisen wollte, wie sehr sie ihn liebte. Es war das erste Mal, dass eine Frau diese drei magischen Worte zu ihm gesagt hatte. Sie liebte ihn, Gott, sie liebte ihn! Warum musste sie denn jetzt sterben? »Nimm mich an ihrer Stelle!«, rief er in den Nachthimmel, die Stimme tränenerstickt. Er weinte hemmungslos, weil er den unvorstellbar großen Schmerz in seiner Brust kaum mehr ertrug und nicht begreifen konnte, warum Raja ihm jetzt entrissen wurde. Sie liebte ihn ! »Nimm mich!« Er schluchzte, wobei er wusste, dass er nicht erhört wurde. So lief das nicht. Man konnte nicht einfach sein Leben für ein anderes eintauschen. Cain schon gleich dreimal nicht, immerhin durfte er als Engel keine Dämonin lieben. »Halbdämonin«, sagte er. »Sie ist mehr Engel als ich.«
Cain legte die Finger auf ihre Halsschlagader, aber das Pochen wurde immer langsamer. Wohin konnte er sie bringen? Wo sollte sie in Frieden sterben?
Gwandoria!
Cain wollte gerade losfliegen, da hörte er wie aus weiter Ferne den Geist mit den braunen Haaren zu Thorne sprechen: »Du kannst mich nicht zurückholen, Magnus, aber du kannst diese Frau retten.«
Cains Atem stockte.
Thorne hatte also nie die Herrschaft haben, sondern seine Frau ins Leben zurückholen wollen? Der
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