Engelsmorgen
er sich nicht ganz wohl in seiner Haut – was nur zu verständlich war. Seit der Nacht, in der er Zeuge des Kusses zwischen Luce und Miles geworden war, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, und jetzt standen sie hier auf einmal mit Luces bester Freundin und Daniels Busenfeind-freund … was auch immer Cam und Daniel eigentlich waren.
Trotzdem …
Daniel war bei ihr zu Hause. Sie brauchte nur kurz zu rufen und ihre Eltern würden neben ihr stehen. Würden sie es fassen können, wenn sie wüssten, wer er war? Wie sollte sie ihren Eltern den Jungen vorstellen, der in ihren früheren Leben Tausende von Malen an ihrem Tod schuld gewesen war? Zu dem sie sich aber immer wieder magnetisch hingezogen fühlte? Der sich ihr gegenüber schon mehrmals unmöglich benommen hatte, der mit nichts wirklich rausrücken wollte, viel Geheimniskrämerei betrieb und auch schon richtig fies gewesen war? Dessen Liebe sie nicht wirklich verstand? Der mit dem Teufel zusammenarbeitete, was wirklich zum Fürchten war! Und der von ihr nicht besonders viel Ahnung haben musste, wenn er es für eine gute Idee hielt, hier zusammen mit diesem Dämon Cam aufzukreuzen.
»Was macht ihr hier?«, fragte sie etwas arg barsch, was aber auch daher kam, dass sie nicht mit Daniel reden konnte, ohne sich zugleich mit Cam zu unterhalten, und sie konnte sich nicht mit Cam unterhalten, ohne zugleich mit etwas Schwerem nach ihm werfen zu wollen.
Cam sprach als Erster. »Ich wünsche dir auch ein frohes Thanksgiving. Uns ist zu Ohren gekommen, dass heute hier bei dir was Großes steigt.«
»Wir haben deine Freundin am Flughafen getroffen«, sagte Daniel in dem verbindlichen Tonfall, in dem er sich mit Luce unterhielt, wenn sie beide von anderen umgeben waren. Es klang so unpersönlich, dass Luce erst recht Sehnsucht bekam, mit ihm allein zu sein, damit sie ihn wirklich spürte. Und damit sie ihn am Revers seines bescheuerten Mantels packen und schütteln konnte, bis er ihr alles erklärte. Es ging schon viel zu lange so.
»Tja, und da sind wir ins Gespräch gekommen und haben uns schließlich das Taxi geteilt«, fuhr Cam fort und zwinkerte dabei Callie zu.
Callie grinste Luce an. »Ich hab gedacht, es würde sich hier um ein ganz familiäres Treffen handeln, aber so gefällt mir das noch viel besser. Da krieg ich jetzt alles gleich live mit!«
Luce spürte, wie ihre Freundin in ihrem Gesicht nach irgendeiner Andeutung suchte, was es mit diesen beiden Jungs auf sich hatte. Thanksgiving würde noch ganz schön anstrengend werden, wenn das so weiterging. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.
»Zeit für den Truthahn!«, rief ihre Mutter fröhlich aus der Küche. Ihr Lächeln erstarrte, als sie die Versammlung im Flur bemerkte. »Luce? Was ist denn hier los?« Ihre Mutter war herausgekommen, immer noch ihre alte grün-weiß gestreifte Schürze umgebunden.
»Mom«, sagte Luce mit einer ausholenden Geste. »Das ist Callie, und das da sind Cam und …« Sie wollte ihre Hand ausstrecken, um sie auf Daniels Arm zu legen, um durch irgendetwas, irgendeine kleine Geste ihrer Mutter zu zeigen, dass er es war. Der, den sie liebte. Und um ihm zu zeigen, dass sie ihn immer noch liebte, trotz allem, dass sie hoffte, alles würde zwischen ihnen beiden wieder gut werden. Aber sie brachte es nicht fertig.
»… Daniel.«
»Aha.« Ihre Mutter musterte die Neuankömmlinge. »Ähm, ja, herzlich willkommen. Luce, Liebling, kann ich mal kurz mit dir reden?«
Luce reckte den Daumen hoch, damit Callie wusste, sie würde gleich wieder zurück sein. Dann folgte sie ihrer Mutter aus der Diele durch den schmalen Flur, in dem lauter Kinderfotos von Luce hingen, in das gemütliche Schlafzimmer ihrer Eltern. Ihre Mutter setzte sich auf den weißen Bettüberwurf und verschränkte die Arme. »Bist du mir nicht vielleicht eine Erklärung schuldig?«
»Tut mir leid, Mom«, sagte Luce, während sie sich neben ihr auf dem Bett niederließ.
»Ich will ja niemanden an Thanksgiving ausladen, aber findest du nicht, dass wir da irgendwo eine Grenze ziehen müssen? Reicht ein Auto voller Überraschungsgäste nicht?«
»Ich versteh dich voll und ganz, Mom«, sagte Luce. »Ich hab die nämlich alle gar nicht eingeladen. Ich bin davon genauso überrumpelt wie du.«
»Es ist ja nur, weil wir so wenig von dir haben. Ich freue mich, deine Freunde kennenzulernen«, sagte Luces Mom und strich ihr übers Haar. »Aber wir hätten dich gern ein wenig für uns.«
»Ich weiß, dass das eine
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