Engelsmorgen
Luce sich an ihren ersten Tag in Sword & Cross zurückversetzt. Sie wusste wieder, warum sie damals auf beide so stark reagiert hatte. Sie waren schön. Beide. Das war einfach eine Tatsache. Unwirklich, übernatürlich schön.
Aber was zum Teufel machten sie hier?
»Gerade rechtzeitig«, murmelte Roland neben Luce.
Auf ihrer anderen Seite fragte Shelby: »Wer hat die denn eingeladen?«
»Frag ich mich auch«, sagte Luce, deren Augen beim Anblick von Daniel einen schwärmerischen Ausdruck angenommen hatten, ob sie wollte oder nicht. Trotz des Beziehungschaos, in dem sie beide steckten.
»Hey, Luce.« Roland grinste, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. »Glaubst du nicht, dass du mal zur Tür solltest?«
Es klingelte.
»Ist das Callie?«, rief Luces Mutter aus der Küche, wo man den Lärm des Mixers hörte.
»Ich geh schon!«, rief Luce zurück, die spürte, wie ihr ein Schauder den Rücken hinunterlief. Natürlich freute sie sich, Callie zu sehen. Aber noch größer und überwältigender als die Freude, gleich ihre beste Freundin in die Arme schließen zu können, war ihr dringendes Bedürfnis, bei Daniel zu sein. Ihn neben sich zu spüren, ihn zu umarmen, ihn einzuatmen. Und ihn ihren Eltern vorzustellen.
Sie würden es merken, oder etwa nicht? Sie würden spüren, dass sich durch die Begegnung mit Daniel in Luces Leben alles verändert hatte – für immer.
Luce öffnete die Tür.
»Frohes Thanksgiving!«, wünschte eine hohe Stimme mit schleppendem Südstaatenakzent. Luce musste erst ein paar Mal blinzeln, bevor ihr Gehirn richtig zuordnen konnte, was sie da vor Augen hatte.
Es war Gabbe. Gabbe aus Sword & Cross, die da in einem rosa Mohairstrickkleid vor der Tür stand. Der schönste Engel mit den vollendetsten Manieren, den Luce kennengelernt hatte. Ihre blonden Haare waren in viele kleine Zöpfe geflochten, die sie zu kunstvollen Locken hochgesteckt hatte. Sie hatte einen rosig schimmernden, frischen Teint – wie Francesca. In der einen Hand hielt sie einen Strauß weiße Gladiolen und in der anderen einen mit Eiskristallen überzogenen, großen Becher Eiscreme.
Neben ihr, mit hellblond gefärbten Haaren, die im Ansatz bereits nachdunkelten, stand – der Dämon Molly Zane. Ihre abgewetzten schwarzen Jeans und ihr ausgefranstes schwarzes Sweatshirt erinnerten Luce an die scheußlichen Bekleidungsvorschriften von Sword & Cross, auch wenn Molly das alles freiwillig trug. Seit ihrem letzten Zusammentreffen hatten sich ihre Piercings im Gesicht vervielfacht. Auf ihrem Unterarm balancierte sie einen kleinen, gusseisernen schwarzen Kessel. Sie starrte Luce mit undurchdringlichem Blick an.
Luce sah die anderen den gewundenen, langen Pfad von der Straße zum Haus entlangkommen. Daniel trug zwar wie ein wahrer Gentleman Callies Koffer, aber Cam ging dicht neben Callie, lächelte sie an und hatte seine Hand auf ihren rechten Unterarm gelegt, während er mit ihr plauderte. Sie schien nicht recht zu wissen, ob sie das leicht nervös machte oder sie von seinem Charme ganz hingerissen war.
»Wir waren zufällig hier in der Nähe.« Gabbe strahlte Luce an und überreichte ihr die Blumen. »Ich habe selbst gemachtes Vanilleeis mitgebracht und Molly einen kleinen Gruß, um uns allen einzuheizen.«
»Shrimp Diablo.« Molly hob kurz den Deckel des Kessels, und Luce schnupperte an der scharfen Soße, die einen intensiven Knoblauch-und-Chili-Geruch verströmte. »Familienrezept.« Molly klappte den Deckel wieder zu und schob sich dann an Luce vorbei in die Diele, wo sie mit Shelby zusammenrumpelte.
»Hey, pass doch auf«, schimpften beide wie aus einem Mund und musterten sich dann gegenseitig misstrauisch.
»Na, das ist doch schön.« Gabbe beugte sich vor, um Luce zu umarmen. »Scheint so, dass Molly eine Freundin gefunden hat.«
Roland führte Gabbe in die Küche und Luce sah nun das erste Mal Callie direkt in die Augen. Als sie sich anschauten, konnten sie nicht anders: Sie lächelten beide übers ganze Gesicht und liefen dann aufeinander zu.
Callie rannte so heftig gegen Luce, dass sie sie fast umgestoßen hätte, dann schlangen beide die Arme umeinander. Sie lachten, wie man nur nach einer viel zu langen Trennung von einer sehr guten Freundin oder einem sehr guten Freund lacht.
Beinahe widerwillig löste Luce sich dann aus der Umarmung und wandte sich zu Daniel und Cam, die hinter ihr standen. Cam hatte dasselbe Auftreten wie immer: beherrscht und gewandt, weltläufig.
Aber Daniel wirkte, als fühlte
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