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Engelsmorgen

Engelsmorgen

Titel: Engelsmorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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solche von der Art, wie Luce sie bisher nur in den Auslagen von exklusiven Schmuckgeschäften bestaunt hatte. Sie waren mit Daniels Flügeln überhaupt nicht vergleichbar. Daniels Flügel waren warm und einladend, prachtvoll und sexy. Die von Steven dagegen waren zerzaust und kalt, Furcht einflößend und bedrohlich.
    Steven stöhnte, spannte seine Muskeln an, seine Flügel schlugen ein Mal, ein einziges Mal, und gaben ihm gerade genug Auftriebskraft, um Dawn aus dem Wasser zu hieven.
    Dennoch entfachten die Schwingen einen solchen Windstoß, dass Luce davon an die gegenüberliegende Bootswand gepresst wurde. Kaum war Dawn sicher im Rettungsboot, setzten Stevens Füße auch schon wieder auf dessen Boden auf. Die Flügel glitten unter seine Haut zurück. Nur zwei kleine Schlitze auf der Rückseite seines Hemds blieben zurück, der einzige Beweis, dass Luce soeben keiner Sinnestäuschung erlegen war. Stevens Gesicht war leichenblass und seine Hände zitterten.
    Alle drei sanken im Rettungsboot erschöpft übereinander. Dawn hatte von den Flügeln nichts bemerkt, und Luce hatte auch nicht den Eindruck, dass irgendjemandem auf der Jacht etwas aufgefallen war. Steven warf Luce einen Blick zu, als hätte sie ihn soeben nackt gesehen. Sie wollte ihm sagen, wie sehr es sie verblüfft hatte, seine Flügel zu erblicken. Bisher hatte sie nicht gewusst, dass auch die der gefallenen Engel, die sich auf die Seite der Finsternis geschlagen hatten, so atemberaubend mächtig sein konnten.
    Sie wandte sich zu Dawn, fast erwartete sie, auf deren Haut Blutspuren zu sehen. Es konnte gar nicht anders sein, als dass irgendetwas nach ihr geschnappt und sie in die Tiefe gezogen hatte. Aber Luce konnte kein Anzeichen einer Verletzung erkennen.
    »Bei dir alles in Ordnung?«, flüsterte sie schließlich.
    Dawn schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Luce. Das war der Horror. Ich kann eigentlich gut schwimmen. Irgendetwas hat mich – etwas hat mich …«
    »Es ist immer noch dort unten«, verkündete Steven und griff nach den Rudern, um das Rettungsboot zur Jacht zurückzusteuern.
    »Wie hat es sich denn angefühlt?«, fragte Luce. »War es ein Hai oder …?«
    Dawn schauderte. »Hände.«
    »Hände?«
    »Luce!«, fuhr Steven sie an.
    Sie drehte sich zu ihm. Er wirkte völlig verwandelt. Dieser Steven war ein vollkommen anderer als der, mit dem sie noch vor Kurzem auf Deck geredet hatte. In seinen Augen lag eine Härte, die sie noch nie an ihm bemerkt hatte.
    »Was du da heute getan hast, war …« Er sprach nicht weiter. Sein verschwitztes Gesicht hatte einen wilden Ausdruck angenommen. Luce hielt den Atem an, gleich würde er es ihr sagen. Leichtsinnig. Dumm. Gefährlich. »Sehr mutig«, erklärte er schließlich. Seine Wangen und seine Stirn entkrampften sich, sein Gesicht sah wieder aus wie immer.
    Luce atmete erleichtert aus. Beinahe wäre ihr die Stimme weggeblieben, als sie sich bei Steven bedankte. Sie konnte den Blick nicht von Dawns zitternden Beinen wenden. Und den immer stärker sichtbar werdenden blauen Flecken an ihren Knöcheln. Abdrücken, die aussahen, als stammten sie von Fingern.
    »Ich verstehe gut, dass ihr beide einen Riesenschreck gekriegt habt«, sagte Steven. »Aber kein Grund, die ganze Schule in Hysterie zu versetzen. Lasst mich erst mal in aller Ruhe mit Francesca reden. Bis auf Weiteres gilt zwischen uns: Kein Wort über das alles hier. Zu niemandem. Habt ihr mich verstanden? Dawn?«
    Dawn nickte verängstigt.
    »Luce?«
    Luce verzog das Gesicht. Sie war sich nicht sicher, ob das wirklich geheim bleiben sollte. Schließlich wäre Dawn beinahe umgekommen.
    »Luce!« Steven packte sie an der Schulter, nahm die Brille ab und schaute mit seinen dunkelbraunen Augen tief in die haselnussbraunen Augen von Luce. Während das Rettungsboot auf das Hauptdeck gehievt wurde, wo alle Schüler warteten, flüsterte er ihr mit heißem Atem ins Ohr: »Kein Wort. Zu niemandem. Zu deinem eigenen Schutz.«

Sieben
    Zwölf Tage
    »Ich verstehe nicht, warum du so komisch drauf bist«, sagte Shelby am Tag darauf zu Luce. »Wie lang bist du hier? Sechs Tage? Und schon die größte Heldin, die Shoreline jemals hatte. Vielleicht wirst du dem Ruf, der dir vorausgeeilt ist, ja doch noch gerecht.«
    Der Himmel war an diesem Sonntagmorgen voller Schäfchenwolken. Luce und Shelby spazierten Shorelines winzigen Strand entlang, teilten sich eine Orange und Chai aus der Thermoskanne. Starker Wind wehte und trug den Erdgeruch der alten Mammutbaumwälder

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