konnte nicht.
Sie schloss das Fenster von innen und stand allein im dunklen Zimmer.
Neun
Zehn Tage
Als Luce am Dienstagmorgen aufwachte, war Shelby bereits fort. Ihr Bett war gemacht, die handgearbeitete Patchworkdecke am Fußende zusammengelegt.Ihre rote Daunenweste und ihre Tasche waren vom Haken neben der Tür verschwunden.
Noch im Schlafanzug, stellte Luce sich für einen Tee einen Becher mit Wasser in die Mikrowelle. Dann setzte sie sich an den Schreibtisch, um ihre E-Mails zu checken.
An:
[email protected] Von:
[email protected] Gesendet: Montag, 16.11., 01.34 Uhr
Thema: Nicht persönlich gemeint
Liebe L,
habe deine SMS bekommen und erst mal: Ja, ich vermiss dich auch. Mein nächster Vorschlag, der dich jetzt vielleicht überraschen dürfte, lautet: Lass uns mal wieder ein persönliches Update machen! Ja, ja, die wilde Callie, immer mit ihren verrückten Ideen. Ich weiß, dass du wahnsinnig beschäftigt bist. Ich weiß, dass du unter schwerer Überwachung stehst, und dass es für dich ganz schwierig ist, dich davonzustehlen. Aber trotzdem. Ich weiß kein einziges Detail aus deinem jetzigen Leben. Mit wem sitzt du immer beim Mittagessen in der Cafeteria zusammen? Welchen Unterricht magst du am liebsten? Wie ist das eigentlich mit diesem Jungen weitergegangen? Ich weiß nicht mal seinen Namen. So was hasse ich.
Freut mich, dass du jetzt wieder ein Handy hast, aber schick mir keine SMS, um mir zu sagen, dass du mich anrufst. Ruf einfach an. Ich hab deine Stimme schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Ich bin nicht sauer auf dich. Noch nicht.
xoC
Luce klickte die E-Mail weg. Es war fast unmöglich, mit Callie richtig Krach zu kriegen. Jedenfalls war das bisher noch nicht vorgekommen. Dass Callie überhaupt nicht auf die Idee gekommen war, Luce könnte ihr was vorlügen, war nur ein weiterer Beweis dafür, wie fremd sie sich inzwischen waren. Luce schämte sich so sehr, dass sie sich fühlte, als würde ihr jemand über die Schulter schauen und nur noch den Kopf schütteln.
Weiter zur nächsten E-Mail:
An:
[email protected] Von:
[email protected] Gesendet: Montag, 16.11., 20.30 Uhr
Thema: Wir lieben dich auch, Schätzchen
Luce, unser beider Liebling,
deine E-Mails sind immer wie ein Sonnenstrahl. Wie geht’s in der Schwimmmannschaft? Denkst du auch immer daran, dir die Haare ordentlich trocken zu föhnen, wo es doch jetzt draußen kalt ist? Ich weiß, ich nerve dich mit solchen Ratschlägen, aber ich vermisse dich, meine kleine Luce.
Glaubst du, Sword & Cross erlaubt dir, nächste Woche an Thanksgiving nach Hause zu kommen? Soll Dad vielleicht den Direktor anrufen? Wir wollen uns natürlich nicht zu früh darauf freuen, aber dein Vater ist schon mal losgezogen und hat für dich Tofuschnitzel besorgt, für alle Fälle. Und die Tiefkühltruhe steckt voller Pies, die ich für dich gebacken habe. Magst du den mit den Süßkartoffeln immer noch so gern? Wir lieben dich und denken die ganze Zeit an dich!
Mom
Luces Hand umklammerte starr die Maus. Es war jetzt Dienstag. Bis Thanksgiving waren es noch eineinhalb Wochen. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Obwohl es normalerweise ihre Lieblingsferien waren. Luce versuchte, sich den Gedanken daran sofort wieder aus dem Kopf zu schlagen. Niemals würde Mr Cole es ihr erlauben, an Thanksgiving nach Hause zu fahren.
Sie wollte schon auf »Antworten« klicken, als sie in der Randleiste ein orangefarbenes Blinken bemerkte. Jemand war online und wollte sie erreichen. Miles.
Miles (8.08): Moin, Moin, Luce.
Miles (8.09): Ich hab einen BÄRENHUNGER. Bist du beim Aufwachen auch immer so hungrig?
Miles (8.15): Willst du mit mir frühstücken? Ich mach mich jetzt gleich auf und komm bei dir vorbei. In 5 Minuten?
Luce schaute auf ihren Wecker. 8.21 Uhr. An der Tür war ein heftiges Klopfen zu hören. Sie hatte immer noch ihren Schlafanzug an. Ihre Haare waren vom Schlaf zerzaust. Sie öffnete die Tür einen Spalt.
Der Flur war vom Licht der Morgensonne erfüllt. Luce fühlte sich an zu Hause erinnert, wenn sie bei ihren Eltern die sonnenbeschienene Treppe zum Frühstück hinunterkam. Die ganze Welt sah auf einmal fröhlicher aus, es brauchte dazu nur einen einzigen lichtdurchfluteten Flur.
Miles hatte heute nicht seine Dodgers-Kappe auf, deshalb konnte sie endlich mal wieder seine Augen richtig sehen. Sie waren wirklich tiefblau, so blau wie der Himmel an einem schönen Sommertag um neun Uhr morgens. Seine Haare waren noch nass, das