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Engelsmorgen

Engelsmorgen

Titel: Engelsmorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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auf Erden – oder darüber hinaus – bräuchte es, damit sie mit ihrem Leben so zufrieden sein konnte, wie Miles es offensichtlich war? Ihre Gedanken kreisten unablässig um Daniel. Und sie wusste die Antwort: Sie könnte nur dann wieder sorglos und glücklich sein, wenn sie Daniel nie getroffen hätte. Wenn sie nie die wahre Liebe kennengelernt hätte.
    Über sich in den Bäumen hörte sie ein Rascheln. Kalter Wind streifte ihre Haut. Sie hatte sich nicht ausdrücklich einen Verkünder herbeigewünscht, aber sie begriff, dass ihr Wunsch nach einer Antwort auf diese wichtige Lebensfrage einen Verkünder herbeigerufen haben musste. Ganz wie Steven es ihr erklärt hatte.
    Nein, nicht nur einen.
    Luce schauderte, als sie in das Gewirr der Äste und Zweige hochblickte. Hunderte von unheimlichen, schlammigen, faulig riechenden Schatten.
    Sie strömten auf den Ästen des Mammutbaums hoch über ihrem Kopf zusammen. Als hätte jemand am Himmel ein riesiges Fass voller Tinte umgekippt und die schwarze Flüssigkeit breitete sich nun dort oben aus und tropfte auf das Blätterdach hinunter, verfärbte einen Ast nach dem anderen, bis der gesamte Wald eine einzige Wand aus Finsternis war. Zuerst hätte sie kaum sagen können, wo ein Schatten aufhörte und der nächste anfing; welcher Schatten echt war und welcher ein Verkünder.
    Aber bald begannen sie, sich zu regen. Sich zu verwandeln und eindeutige Gestalt anzunehmen – zunächst verstohlen und heimlich, als kämen sie ganz unschuldig im schwindenden Tageslicht daher, dann aber kühner und dreister. Sie lösten sich von den Ästen, auf denen sie gelagert hatten, ließen ihre schwarzen Tentakel nach unten gleiten, immer tiefer, bis sie fast Luces Kopf erreicht hatten. Kamen sie, weil sie sie gerufen hatte? Oder bedrohten sie sie? Luce versuchte, Fassung zu bewahren, aber ihr stockte trotzdem der Atem. Es waren zu viele. Sie bedrängten sie zu sehr. Sie schnappte nach Luft, versuchte, nicht in Panik zu geraten, wusste, dass es dafür bereits zu spät war.
    Sie rannte los.
    Zunächst nach Süden in Richtung Wohnheim. Aber die schwarzen Wirbel in den Bäumen bewegten sich mit ihr, glitten mit einem Zischen auf die tieferen Äste der Mammutbäume herunter, kamen immer näher. Sie fühlte eiskalte Nadelstiche, wo die Schatten sie auf den Schultern streiften. Luce schrie auf, als sie nach ihr griffen, fegte sie mit den Händen weg.
    Dann wechselte sie die Richtung, rannte nach Norden, wo die Nephilim-Lodge lag. Dort würde sie Miles und Shelby und vielleicht Francesca antreffen. Aber die Verkünder ließen sie nicht fort. Sie schlitterten und schlüpften sofort nach vorne, blähten sich vor ihr auf, schluckten das Licht und versperrten ihr den Weg zur Nephilim-Lodge. Ihr Zischen erstickte das ferne Gemurmel der Nephilim am Feuer, sodass ihre neuen Freunde für Luce in unerreichbare Ferne gerückt zu sein schienen.
    Luce zwang sich, stehen zu bleiben und tief Luft zu holen. Sie wusste inzwischen weitaus mehr über die Verkünder als noch vor kurzem. Sie hätte eigentlich weniger Angst vor ihnen haben sollen. Was war eigentlich mit ihr los? Vielleicht ahnte sie ja, dass sie allmählich einer Sache näher kam, einer Erinnerung oder einer Information, die ihr Leben ändern würde. Und auch ihre Beziehung zu Daniel von Grund auf verwandeln würde. In Wahrheit fürchtete sie sich nicht so sehr vor den Verkündern. Sie fürchtete sich davor, was sie in ihrem Schattenschirm sehen würde.
    Oder hören würde.
    Gestern hatte es bei ihr endlich Klick gemacht, als Steven sie aufforderte, das Rauschen der Verkünder einfach auszublenden. Sie konnte jetzt in ihre vergangenen Leben hineinhören. Sie konnte sich durch das Rauschen hindurch auf das konzentrieren, was sie erfahren wollte. Was sie unbedingt wissen musste. Steven musste ihr diesen Hinweis ganz bewusst gegeben haben, musste gewusst haben, dass sie ihm gut zuhören und ihr neues Wissen sofort bei den Verkündern anwenden würde.
    Sie kehrte um und ging in die dunkle Einsamkeit der Bäume zurück. Die zischenden Laute der Verkünder wurden leiser und verstummten schließlich ganz.
    Die Finsternis unter den Ästen umhüllte sie mit Kälte und dem moderigen Geruch verfaulender Blätter. Im Zwielicht des Waldes krochen die Verkünder vorwärts, ließen sich in der Trübnis ringsum nieder, vermischten sich erneut mit den natürlichen Schatten der riesigen Mammutbäume. Manche von ihnen bewegten sich schnell, aber steif wie Soldaten; andere

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