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Engelsmorgen

Engelsmorgen

Titel: Engelsmorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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Ihre langen Haare tanzten um sie herum auf den sanften Wellen wie ein schwarzer Heiligenschein. Daniel warf ihr einen Blick zu, doch dann sah er wieder nach oben. Die Muskeln seines Oberkörpers spannten sich an. Luce beschlich ein ungutes Gefühl, denn sie ahnte bereits, warum.
    Der Himmel war mit Verkündern angefüllt, einem Schwarm riesiger Raben gleich, so viele und so dicht nebeneinander, dass sie die Sonne verdunkelten. Die Luce vor vielen Jahren, die Luce im Wasser, bemerkte davon nichts, sah nichts. Aber all diese Verkünder in der feuchten Luft des Regenwaldes herumhuschen und sich versammeln zu sehen, und das in einem Bild, das ihr von einem Verkünder übermittelt wurde, machte die Luce im Wald zwischen den Mammutbäumen auf einmal ganz benommen.
    »Ich will nicht ewig hier auf dich warten«, rief die Luce im Teich zu Daniel hoch. »Ich hab schon Gänsehaut, bald ist mir eiskalt.«
    Daniel wandte die Augen vom Himmel ab und sah mit entsetzter Miene zu ihr hinunter. Seine Lippe zitterte und sein Gesicht war leichenblass. »Du wirst nicht frieren«, sagte er. Wischte er sich da gerade Tränen aus dem Gesicht? Er schloss die Augen und erschauderte. Dann hob er die Arme hoch über den Kopf, stieß sich vom Felsen ab und machte einen Kopfsprung ins Becken.
    Einen Augenblick später tauchte Daniel aus dem Wasser und Luce schwamm zu ihm hin. Sie schlang die Arme um seinen Hals, strahlte und wirkte glücklich. Luce beobachtete das alles mit einer Mischung aus Bestürzung und Befriedigung. Sie wollte natürlich, dass ihr früheres Ich so viel wie möglich von Daniel hatte, freute sich mit ihr, wünschte ihr, dass sie dieses unschuldige, jubilierende Glück verspürte, der Person nahe zu sein, die sie liebte.
    Aber sie wusste genauso wie Daniel – und wie der schwarze Schwarm der Verkünder –, was geschehen würde, sobald Luce ihre Lippen auf seine presste. Daniel hatte recht: Sie würde nicht frieren. Sie würde in lichterloh flackernden Flammen verbrennen.
    Und Daniel würde voller Trauer zurückbleiben.
    Aber nicht nur er. Er war nicht der Einzige, der voller Trauer sein würde. Dieses Mädchen hatte ein Leben, Freunde, Eltern, die sie liebten und die untröstlich sein würden, wenn sie sie verlören.
    Plötzlich war Luce wütend. Voller Zorn auf den Fluch, der über Daniel und sie verhängt war. Sie war immer so unschuldig und unwissend gewesen, so ohnmächtig; sie hatte nie eine Ahnung davon gehabt, was mit ihr geschah. Was über sie hereinbrechen würde. Sie begriff auch jetzt noch nicht, warum das eigentlich geschah, warum sie immer hatte sterben müssen. So kurz, nachdem sie Daniel gefunden hatte.
    Warum es ihr in ihrem jetzigen Leben bisher noch nicht so ergangen war.
    Die Luce im Wasser des Teichs war immer noch am Leben. Luce wollte sie – konnte sie – nicht sterben lassen.
    Sie packte den Verkünder, zerrte seine Ecken noch weiter auseinander. Er wand und krümmte sich und verzerrte die Bilder der beiden Badenden im Teich, als würde es sich um die Spiegelungen in einem Jahrmarktszerrspiegel handeln. Doch sie sah, dass sich immer mehr Schatten herabsenkten. Die gemeinsame Zeit der beiden im Wasser war bald abgelaufen.
    Luce schrie verzweifelt auf und schlug mit der Faust auf die Verkünder ein – traf erst einen, dann den nächsten, schließlich hagelte es nur so Schläge von ihr. Wieder und wieder und wieder boxte sie auf die schwarzen Schatten im Bild vor ihr ein, sie stöhnte und keuchte und schrie, als sie alles tat, was in ihren Kräften stand, um zu verhindern, was sich da gerade vor ihr abspielte.
    Und dann geschah es: Ihre rechte Faust durchschlug den Schirm und ihr Arm sank bis zum Ellenbogen ein. Sofort verspürte sie einen plötzlichen Temperaturwechsel. Schwüle Sommerhitze. Die Schwerkraft verkehrte sich. Luce hätte nicht mehr sagen können, wo oben oder unten war. Sie spürte, wie ihr Magen sich hob, und befürchtete, nichts mehr bei sich behalten zu können.
    Sie konnte hinüberwechseln. Sie konnte ihr früheres Ich retten. Vorsichtig streckte sie auch ihren linken Arm aus. Er verschwand ebenfalls im Verkünder, als würde er durch eine weiche, klebrige Gelatineschicht hindurchgreifen, die sich kräuselte und bei der Berührung teilte. Luce hatte das Gefühl, diese Pforte öffnete sich nur für sie.
    »Nicht nur ich will das«, sagte sie laut. »Sie wollen es auch. Ich kann das schaffen. Ich kann sie retten. Ich kann mein Leben retten.« Sie holte mit ihrem Körper leicht aus und

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