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Engelsmorgen

Engelsmorgen

Titel: Engelsmorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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waren grazil und anmutig. Luce fragte sich, ob wohl ihre Erscheinung den Charakter der Botschaften widerspiegelte, die sie überbrachten.
    So vieles an den Verkündern war ihr immer noch ein Rätsel. In sie hineinzuhören, ergab sich nicht zufällig, wie wenn man an einem alten Radio herumspielte und verschiedenen Sendern lauschte. Was sie gestern gehört hatte – die eine Stimme inmitten des Wirrwarrs der vielen anderen –, hatte sich direkt an sie gerichtet.
    Die Vergangenheit mochte bisher für sie unzugänglich gewesen sein, aber nun spürte sie, wie sie in den dunklen Gestalten an sie herandrängte, darauf wartete, ans Licht zu kommen. Sie schloss die Augen und barg das Gesicht in den Händen. Sie hörte ihr Herz pochen. In ihre eigene Finsternis versunken, rief sie sie herbei. Sie wollte, dass sie sich ihr zeigten. Sie rief die kältesten, dunkelsten Schatten herbei, bat sie, ihr ihre Vergangenheit zu zeigen, ein Licht auf die Geschichte von Daniel und ihr zu werfen. Sie flehte sie an, das Geheimnis zu lüften, wer sie eigentlich war und warum er sie auserwählt hatte.
    Selbst wenn die Wahrheit ihr das Herz brechen sollte.
    Ein Lachen erklang durch den Wald. Ein so fröhliches, lebendiges Lachen, dass Luce sich sogleich von ihm angesteckt fühlte; von überallher schien es widerzuhallen. Sie versuchte zu erkennen, woher es kam, aber es waren so viele Schatten ringsum versammelt, dass sie den Ursprung nicht ausmachen konnte. Und dann erstarrte ihr das Blut in den Adern.
    Es war ihr Lachen.
    Oder genauer, es war einmal ihr Lachen gewesen. Früher, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Lange vor Daniel, vor Sword & Cross, vor Trevor … vor einem Leben voller Geheimnisse und Lügen und so vieler Fragen, auf die es keine Antworten gab. Bevor sie einen Engel gesehen hatte. Es war ein unschuldiges, sorgloses Lachen, viel zu unschuldig und sorglos, um noch zu ihr zu gehören.
    Ein Windstoß fuhr durch die Äste über ihr, sodass die braunen Nadeln des Mammutbaums auf sie herabregneten. Wie Regentropfen prasselten sie herunter, um sich mit unzähligen anderen auf dem weichen Waldboden zu vermengen. Doch darunter war ein besonders großes dieser Blätter mit den fächerförmig angeordneten Nadeln.
    Breit und federig, segelte es langsam nach unten, fast als schien es nicht der Schwerkraft unterworfen zu sein. Es war schwarz statt braun. Und statt auf den Boden zu fallen, ließ es sich sachte auf Luces ausgestreckter Hand nieder.
    Es handelte sich um kein Blatt, sondern um einen Verkünder. Als sie sich darüber beugte, um ihn genauer zu betrachten, hörte sie wieder das Lachen. Irgendwo im Innern dieses Schattens lachte die andere Luce.
    Vorsichtig begann Luce, an den fedrigen, kitzeligen Enden zu ziehen. Das Material war nachgiebiger, als sie gedacht hatte, aber eiskalt und klebrig. Bei der kleinsten Berührung dehnte es sich aus. Als der Schatten ungefähr die Größe eines Bildschirms erreicht hatte, ließ Luce ihn los. Erfreut stellte sie fest, dass er auf Augenhöhe vor ihr in der Luft stehen blieb. Dann konzentrierte sie sich. Sie versuchte, die Welt um sich herum auszublenden, Auge und Ohr allein auf den Schatten vor ihr zu richten.
    Zuerst nichts, und dann …
    Erneut erklang ein helles Lachen. Der schwarze Schleier vor dem Schirm zerriss und ein Bild tauchte auf.
    Daniel. Diesmal fiel ihr Blick als Erstes auf Daniel.
    Und sogar jetzt, auf dem Schirm des Verkünders, erfüllte es sie mit unglaublicher Freude, ihn zu sehen. Seine Haare waren etwas länger, als er sie zurzeit trug. Und er war braun gebrannt – sein Gesicht und sein Oberkörper waren makellos braun, mit einem leicht goldenen Schimmer. Er hatte eine enge dunkelblaue Badehose an, knapp um die Hüfte sitzend, wie sie das von ihrem Vater auf Familienfotos aus den Siebzigerlahren kannte. Und er sah darin umwerfend gut aus.
    Hinter Daniel war der Saum eines dicken, dichten Regenwaldes zu erkennen, von leuchtendem Grün, mit leuchtenden weißen Beeren und weißen Blüten gesprenkelt, die Luce noch nie gesehen hatte. Er stand am Rand eines nicht sehr hohen, aber wildromantischen Kliffs, unter dem sich ein blau funkelnder Teich befand. Doch Daniel blickte nicht auf das Wasser hinunter, sondern nach oben zum Himmel.
    Dann wieder das Lachen. Und Luces eigene Stimme, halb erstickt vom Kichern. »Jetzt mach schon! Spring!«
    Luce beugte sich vor, ganz nah an das Fenster des Verkünders, und entdeckte sich selbst dort im Pool, in einem gelben Bikini.

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