Engelspakt: Thriller (German Edition)
erwähnten wenigstens einmal ihren Namen. Es war, als hätte Aaren niemals existiert.
Als er nachmittags am Lehrerzimmer vorbeigekommen war, hatte er dort eine der seltenen, alten Zeitungen herumliegen sehen und sie kurzerhand mitgehen lassen. Doch ein älterer Lehrer hatte ihn dabei ertappt, ihn zur Rede gestellt und schließlich nach einem der Aufseher gerufen.
Ambrose war auf der Bildfläche erschienen, hatte das vermeintliche Diebesgut inspiziert und den Lehrer im Handumdrehen besänftigt. Dann hatte der Aufseher David ohne ein Wort in sein Zimmer eskortiert, wo er eine weitere Überraschung hatte erleben dürfen. Ambrose hatte ihm nämlich die konfiszierte Zeitung überreicht.
»Du wirst leichtsinnig, mein Junge. Die letzten Male hast du dich nicht beim Stibitzen erwischen lassen.«
»Ich …« Das war alles, was David über die Lippen gebracht hatte. Es war einfach zu unglaublich, dass Ambrose auch von den früheren Zeitungsdiebstählen Wind bekommen hatte, ohne je etwas zu sagen.
»Du kannst von Glück sagen, dass ich gerade zur Stelle war. Sei also in Zukunft vorsichtiger.« Mit diesen Worten hatte Ambrose sich umgedreht, war den grauen Flur hinuntergegangen und um die Ecke verschwunden.
Noch jetzt erschien David das Ganze völlig unwirklich. Natürlich hätte er Ambrose am liebsten gleich nach Aaren gefragt, aber er hatte gespürt, dass er den Bogen nicht überspannen durfte. Auch wenn der Aufseher ihm die Zeitung überlassen hatte, so erschien er nicht wirklich berechenbar.
David betätigte den Dimmer, stieg aus dem Bett, setzte sich an den Tisch und fertigte ein paar grobe Skizzen an, da er nicht schlafen konnte. Es waren nicht mehr als ein paar Strichmännchen. Dann ging er zum Schrank hinüber und zog die dahinter versteckte Zeitung hervor. Sie sah aus, als wäre sie schon etliche Male durchgeblättert und zerknittert worden. Als David die Seiten aufschlug, erinnerte ihn einer der Titel in der Inhaltsangabe an die Äußerung eines Lehrers, eines ziemlich unsympathischen Mannes mit Hasenzähnen, der einmal zu einer Kollegin gesagt hatte: »Vor uns liegt eine üble Zukunft. Erst werden uns die Konzerne unsere Würde nehmen – und dann werden die Genfreaks und die Klone kommen und uns den Rest geben.« Nur wenige Tage nach dieser Äußerung war der Lehrer spurlos verschwunden.
David blätterte weiter, neugierig, was diesmal alles über die Welt drinstand. Er las einen Artikel über den Weltmarkt, dann einen über multinationale Konzerne und noch einen über den Preis der Arbeitskraft. Alles Themen, von denen er schon mal bei einer der Sondierungen in der Isolationskammer gehört hatte, mehr aber auch nicht. Er blätterte weiter. Politik. Wirtschaft. Kultur. Forschung und Technik. Alles Themen, die er aus dem Unterricht kannte, damit er die Bilder besser sondieren und Dr. Zanolla genauer Bericht erstatten konnte.
Gentechnik! Davon wusste er nicht nur aus dem Unterricht, sondern auch dank Aarens heimlicher Computerrecherchen.
Der Mensch aus dem Genbaukasten.
David verstand zwar nicht alles, was er da las, aber doch bei Weitem mehr, als die meisten so genannten gebildeten Erwachsenen, die dort draußen lebten. Er wollte und musste wissen, was die Menschen in der Außenwelt bewegte, wenn er sie verstehen und eventuell selbst eines Tages dort draußen überleben wollte. Der Leiter eines Laboratoriums für Biochemie pries die Vorteile der Gentechnik in einer enthusiastischen Zukunftsvision: keine Krankheiten mehr, kein körperlicher Zerfall. Kein Altern im herkömmlichen Sinne, sondern alt werden und trotzdem jung bleiben durch Langlebigkeitsgene. Im Anschluss an den Artikel war ein zweieinhalbseitiges Interview mit fünf maßgeblichen Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Gesellschaft, Philosophie und Theologie abgedruckt. Es ging um das Für und Wider. Einer der Interviewten sprach über die Züchtung von Sklavenmenschen, ein anderer über eine Zweiklassengesellschaft, in der sich die Reichen von Generation zu Generation gentechnisch optimieren ließen, während die natürlich geborenen Massen als Nutztiere auf der Strecke blieben. Ein Dritter sagte, die Würde des Menschen müsse unantastbar bleiben. Der Mensch dürfe nicht mit Hilfe von Genmontage zum Sklaven des Menschen werden. Solange die neue Technologie der Heilung diene und in Ehrfurcht vor der Schöpfung geschehe, heiße er sie gut. Mehr dürfe sie nicht sein, aber auch nicht weniger. Der dritte Interviewpartner war ein Mann der
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