Engelspakt: Thriller (German Edition)
Santa Maria dell’ Orazione e Morte nicht eingebrochen worden.
Catherine rieb sich über die Schläfen, denn sie spürte einen aufkeimenden Migräneanfall. Der Schlafmangel, verbunden mit dem kräftezehrenden Energietransfer, forderte seinen Tribut, ganz zu schweigen von den seltsamen visionären Einblendungen, die sie währenddessen regelrecht überrumpelt hatten. Erneut tauchten einzelne Bilder dieser irreal anmutenden Visionen vor ihr auf, Vorspiegelungen aus Cibans Leben und Kindheit. Sie erfüllten das grelle Licht der Scheinwerfer, die die Ermittler aufgestellt hatten, mit unheimlichem Leben und schürten Catherines Kopfschmerz. Wie in Trance hörte sie, wie einer der Techniker in sein Mikrofon sprach.
»Auf dem Steinboden vor dem Altar ein Toter männlichen Geschlechts, Einschussloch in den Hinterkopf, Austrittsöffnung auf der gegenüberliegenden Seite … Gesicht zerfetzt … zweites Einschussloch in der Brust … Tatwaffe am Tatort … Spuren eines Kampfes …«
Ein anderer Spurensicherer machte Fotos, während ein dritter sich bereithielt, um dem Opfer Plastikbeutel über die Hände und den Kopf zu stülpen, damit keine Spuren verloren gingen. Catherines Blick fiel auf einen der geöffneten Koffer mit der Ausrüstung für die Spurensicherung. Einige der Gegenstände waren ihr sogar ein Begriff: Beweismitteltüten, Latexhandschuhe, Haarpinsel, Sammelgläser, Aluminiumpulver zum Sichtbarmachen von Fingerabdrücken, Klebeband, Maßband, Tonband und Lupe.
»Schwester …«
Erschrocken blickte sie auf. Um sich von der Vision und ihren Kopfschmerzen zu befreien, hatte sie sich dermaßen in den Inhalt des Koffers vertieft, dass sie nun regelrecht zusammenzuckte.
»Darf ich Ihnen Inspektor Matteo Ganzoli vorstellen, den Leiter der italienischen Polizeivertretung im Vatikan?«
Auch das noch, dachte Catherine und blickte von Coelho zu Ganzoli, der eine ziemlich große Arroganz ausstrahlte.
»Bitte berichten Sie dem Inspektor noch einmal, was Sie erlebt und beobachtet haben. Ich weiß, Sie haben es mir schon zweimal erzählt, aber es ist wichtig, dass der Inspektor es von Ihnen persönlich hört.«
Catherine seufzte innerlich, dann schilderte sie noch einmal exakt, was sie Coelho zuvor erzählt hatte, und der Inspektor hörte ihr aufmerksam zu. Anschließend stellte Inspektor Ganzoli jene Frage, auf die Catherine am ehesten hätte verzichten können.
»Wie kommt es, dass Kardinal Ciban ausgerechnet Sie mitten in der Nacht aufgesucht hat, Schwester Catherine?«
»Vermutlich war ich die erstbeste Person, die er in seiner Not um Hilfe bitten konnte, Inspektor.«
Coelho fügte hinzu: »Wir haben kein Handy bei Seiner Eminenz gefunden, mit dem er um Hilfe hätte rufen können.«
Ganzolis wässrige Augen ließen nicht von Catherine ab. Er schien jede ihrer Regungen genauestens zu beobachten. »In welcher Beziehung stehen Sie eigentlich zu Kardinal Ciban?«
»Ich arbeite seit einem Jahr für ihn.«
»Und wo, wenn ich fragen darf?«
Da Catherine zögerte, nahm Coelho ihr die Antwort ab. »In der Vatikanischen Sicherheit. Inoffiziell.«
Das schien Ganzolis Weltbild zumindest ein wenig geradezurücken, wenn auch nicht ganz. Schwer von sich eingenommen, deutete er auf den Leichnam. »Haben Sie das Opfer gekannt, Schwester?«
»Nein. Aber sollten wir hier nicht vielmehr von zwei Opfern reden?«
Ganzoli wechselte einen kurzen Blick mit Coelho. »Wie kommen Sie darauf?«
Catherine biss sich auf die Zunge. Wie konnte sie nur so dumm sein? Coelho nahm sie vor dem Inspektor in Schutz, und sie forderte Ganzolis Überheblichkeit und Neugierde geradezu heraus. Rasch schob sie hinterher: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Seine Eminenz zu solch einem Mord fähig ist. Sie etwa?«
Ohne die Frage zu beantworten, wandte sich Ganzoli Coelho zu und flüsterte diesem etwas ins Ohr. Erst dann sagte er zu Catherine: »Halten Sie sich für eine weitere Befragung bereit und rufen Sie mich oder meinen geschätzten Kollegen an, wenn Ihnen noch etwas einfällt, worüber Sie mit uns sprechen möchten.«
Nachdem Ganzoli zum eigentlichen Tatort zurückgekehrt war, bugsierte Coelho Catherine behutsam, aber zielstrebig außer Hörweite des Inspektors. Am Weihwasserbecken angelangt, sagte er: »Haben Sie den Verstand verloren?«
»Wieso ich? Der Inspektor hält Ciban für den Mörder.«
»Das hat er mit keiner Silbe gesagt. Außerdem haben die Ermittlungen gerade erst begonnen.«
»Es ist nur zu offensichtlich, was er denkt.
Weitere Kostenlose Bücher