Engelspakt: Thriller (German Edition)
große Anhängerin der klinischen Medizin, aber natürlich war auch ihr klar, dass in solch schweren Fällen sonst rein gar nichts mehr lief.
Nach einer halben Ewigkeit hatte Coelho ihr endlich Zutritt zu Cibans Zimmer verschaffen können. Zuvor war allerdings ein eindringliches Telefonat Papst Leos mit dem leitenden Arzt notwendig gewesen. Als Catherine sich schließlich zu Ciban gesetzt, seine Hand ergriffen und ihre Energie erneut hatte fließen lassen, hatte das EEG verrückt gespielt. Cibans Gehirn produzierte plötzlich ein Hirnwellenmuster, das selbst für einen Laien jenseits jeder Normalität lag. Die Theta- und Betawellen zeigten völlig abstruse Werte an, als würde er halluzinieren. Catherine saß zitternd da, starrte auf das Gerät und spürte, wie sie selbst mehr und mehr in dieses eigentümliche Traumwirrwarr hineingezogen wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde kam es ihr so vor, als hätte sie eine riesige Wand mit Fotos, Texten und Verbindungslinien gesehen, doch der Zusammenhang zwischen den einzelnen Elementen blieb für sie ein Rätsel. Das mittlere Foto aber zeigte in jedem Fall ein Grab.
Unmittelbar nach diesem Flash stürmten der EEG -Techniker und der Chefarzt zusammen mit dem Chirurgen und dem Neurologen ins Zimmer. Catherine rechnete schon damit, dass die Ärzte sie von Ciban trennten, doch Dr. Asensi, ein kleiner, sympathischer Mann mit Knubbelnase, starrte nur von dem EEG zu ihr und seinem Patienten. Er beobachtete die gesamte Szenerie einschließlich der restlichen Apparaturen und tat sonst nichts. Es war, als wartete der Mediziner nur darauf, dass Ciban jeden Moment die Augen öffnete. Doch dieses Wunder blieb aus.
»Ich habe keine Ahnung, was hier gerade geschehen ist, Schwester«, sagte Asensi bedächtig. »Vor einer Viertelstunde stand mein Patient noch kurz vor dem Tod, und jetzt … Nun denn, er ist noch lange nicht über den Berg, aber seine Chancen haben sich beträchtlich verbessert.«
»Dann … wird er … also durchkommen?«
»Es sieht ganz so aus.«
Catherine hatte kurz davor gestanden, vor Erleichterung in Tränen auszubrechen. Asensi hatte einen Arm um sie gelegt und sie hinaus auf den Flur geführt, wo ausgerechnet Viktor auf sie gewartet hatte.
Das alles war jetzt eine Stunde her. Momentan befand sich das komplette Ärzteteam in Cibans Zimmer und schien über seinen Gesundheits- und Genesungszustand zu beraten.
Eine der Krankenschwestern kam auf sie zu. »Schwester Catherine?«
»Ja?«
»Ein Anruf für Sie, gleich nebenan im Büro.«
Catherine folgte der Krankenschwester, die ihr den Telefonhörer reichte und sie dann in dem geräumigen Büro allein ließ. Monsignore Massini, der Privatsekretär des Papstes, war am Apparat und stellte sie zu Papst Leo durch.
»Wie sieht es aus, Catherine?«, fragte Leo sofort.
»Er ist noch immer in einem kritischen Zustand, aber die Ärzte denken, dass er es schaffen wird, Heiligkeit.«
»Was ist mit Ihnen? Wie fühlen Sie sich?«
»Ich bin einfach nur müde, sonst fehlt mir nichts.«
»Ich werde veranlassen, dass man Sie nach Hause bringt, Catherine. Sie brauchen dringend Ruhe und Schlaf.«
»Aber …«
»Das ist keine Bitte, Catherine.«
Sie seufzte. Was konnte sie schon gegen den Willen des Papstes ausrichten? Außerdem hatte der Heilprozess sie tatsächlich erschöpft.
Eine Viertelstunde später setzte Viktor sie vor ihrem Haus ab. Wie ein Gentleman öffnete er ihr die Beifahrertür und wartete, bis sie ins Haus gegangen war, ehe er wieder anfuhr, um auf direktem Weg in die Gemelli-Klinik oder den Vatikan zurückzukehren.
Als Catherine aus dem Aufzug stieg und die Wohnungstür aufschloss, bekam sie eine Gänsehaut. Die Erlebnisse waren einfach noch zu lebendig in ihr, erst recht durch die bizarren Visionen. Sie machte einen vorsichtigen Schritt über die Schwelle, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Im Wohnraum brannte noch Licht. In der Eile hatte sie wohl vergessen, es auszuschalten. Auch im Schlafzimmer war die Deckenlampe noch an, und überall waren die Läden zu. Aber was spielte das schon für eine Rolle?
Angekleidet und hundemüde ließ sie sich auf das breite Bett sinken. Durch das Fenster drang die Geräuschkulisse des Viertels wie aus einer anderen Welt und lullte sie ein.
Sie schlief sofort ein und träumte. Träumte von Menschen, Orten und Begebenheiten, die ihr im Wachzustand wie ein einziger Wahnsinn erschienen wären. Dabei sagte ihr das bisschen Verstand, das ihr im hintersten Winkel ihres
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