Engelspakt: Thriller (German Edition)
sich ihre Tasche und machte sich unverzüglich auf den Weg zum Palast der Inquisition.
39.
Dr. Robert Martini erhob sich mühsam von seinem Lesetisch im ausgebauten Dachstuhl seines Hauses, trat an die alten, bis zur Decke reichenden Bücherregale seiner umfangreichen Privatbibliothek und hielt nach einem Folianten Ausschau. Der gesuchte Band war so wertvoll, dass er genauso gut in den Vatikanischen Geheimarchiven hätte stehen können, und zwar am besten im legendären Turm der Winde.
Die meisten der uralten Bücher in seinem Besitz gehörten den Apokryphen, vorchristlichen oder gänzlich unchristlichen Schulen an. Von den wichtigsten gab es selbstverständlich digitale Kopien, die er ebenfalls in Rom, allerdings außerhalb seines Hauses aufbewahrte. Martinis Computerdaten waren so gut verschlüsselt, dass nicht einmal das FBI , die CIA oder die ISA sie hätten knacken können, geschweige denn die Computerspezialisten des Vatikans.
Dennoch war Martini vor dem Präfekten der Glaubenskongregation auf der Hut. Kardinal Ciban war ein Mann, dessen Aufmerksamkeit man lieber nicht erregte, wenn man seinen vermeintlich häretischen Forschungsstudien in Ruhe nachgehen und nicht exkommuniziert werden wollte.
Martini war schon zu lange ein Teil der Kirche, um auf seine alten Tage noch exkommuniziert zu werden, auch wenn die Kirche sich kaum noch an ihren einst so hochgelobten Gelehrten der katholischen Orthodoxie zu erinnern schien. Nun denn, die konservative katholische Orthodoxie entsprach ohnehin schon lange nicht mehr Martinis Weltanschauung.
»Vergessen Sie Ihren Krankengymnastik-Termin nicht, Doktor«, vernahm er zwischen den Regalen die Stimme seiner Haushälterin von der Wendeltreppe her. »Sie wissen, Ihr Rücken hat es verdammt nötig, sonst werden Sie Ihre geliebten Bücher alsbald nicht mehr aus den Regalen heben können. Und einen Assistenten dulden Sie ja nicht.«
Martini seufzte. Es war erstaunlich, wie Mariella ihn mit ihren nüchternen Kundgebungen und Feststellungen schlagartig aus seiner Hochstimmung als Forscher in die schnöde Gegenwart zurückholen konnte. Aber sie hatte natürlich recht. Sein Befinden hing seit gut einem Jahr sehr stark davon ab, ob er seine Leibesübungen regelmäßig machte. Hielt er sich an den Trainingsplan, kam er ganz gut mit seinen müden Knochen und Gelenken zurecht, vergaß er die Stunden, sah er sich schon nach zwei, drei Wochen außerstande, die knarrende, steile Holzwendeltreppe zu seiner Dachbibliothek auch nur im Ansatz zu bewältigen.
»Wie spät ist es, Mariella?«, rief er quer durch den großen Raum, wobei ihm die hohen Deckenregale den Blick auf die Wendeltreppe mit dem Spiralgeländer versperrten.
»Zeit, dass Sie sich aus Ihrem Elfenbeinturm zurück in die Welt begeben und in Ihren innig geliebten Jogginganzug schlüpfen. Ihr persönlicher Trainer holt Sie in genau dreißig Minuten ab.«
Martini setzte ein schiefes Lächeln auf und schob den gerade entdeckten Folianten wieder ins Regal zurück. Manchmal klang Mariellas bissiger Humor ganz schön schadenfroh. Andererseits war sie mit ihren einundsiebzig Jahren kaum jünger als er und noch immer flink wie ein Wiesel. Selbst die Wendeltreppe nahm sie mit Leichtigkeit, wenn sie ihn wie jetzt an einen seiner Termine erinnerte. Martini musste sich eingestehen, dass es sich nun rächte, dass er viel zu viel Lebenszeit an irgendwelchen Schreibtischen und Stehpulten verbracht hatte. Dabei hatte es gerade in den letzten Jahren Phasen in seinem Leben gegeben, in denen er viel gereist und auch sehr agil gewesen war. Regelmäßige Bewegung und hier und da ein Stück Zucker weniger hätten ihm die lästige Seniorengymnastik vermutlich erspart.
Er tastete sich entlang der schmalen Bücherregalwände voran und gelangte irgendwie die Treppe zum Erdgeschoss hinab, ohne sich dabei den Hals zu brechen.
Unten erwartete Mariella ihn bereits und erklärte: »Ihre Post von dieser Woche liegt noch immer auf dem Küchentisch, gleich neben dem frischgepressten Orangensaft.« Ihre Stimme klang rau, so als hätte sie an diesem Tag bereits eine Grundschulklasse zur Räson gebracht. »Sie wollten Ihre Post zur Sicherheit noch durchsehen, bevor Sie Ihrer Einladung nachkommen, Doktor.«
Martini erstarrte. Einladung? Was für eine Einladung?
»Den Kaffee zum Wachbleiben habe ich Ihnen in die Thermoskanne gegossen. So, ich muss jetzt los. Meine Enkel warten schon auf mich. Wir wollten gemeinsam ins Kino gehen. Aber keine Sorge, ich werde
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