Engelspakt: Thriller (German Edition)
Sicherheitsleute an der Rezeption das klingelnde Telefon ab, hörte kurz zu, zögerte einen Moment und warf Ambrose dann einen achselzuckenden, aber durchaus noch freundlichen Blick zu.
»Es tut mir leid, Mister Ambrose. Wie es aussieht, müssen Sie Ihren Feierabend noch ein klein wenig verschieben. Ich habe den Auftrag, Sie umgehend zu Doktor Zanolla zu begleiten. Er wartet in seinem Büro.«
Ambrose gab sich ein wenig enttäuscht, blieb aber locker. »Das fällt dem Doktor ausgerechnet jetzt ein. Na schön. Dann muss der Fußball eben warten.«
Der Sicherheitsmann nickte nur und begleitete Ambrose den gesamten Weg bis zum Kern der Anlage zurück.
Als Ambrose das Büro betrat, stellte er fest, dass Doktor Zanolla nicht allein war. Die Tutorin und Psychologin Dr. Weiss stand stramm wie ein Soldat vor dem mächtigen Schreibtisch des Institutsleiters, was angesichts ihres clownhaften Make-ups unfreiwillig komisch wirkte.
Ambrose hatte auf dem ganzen Weg hierher ein ungutes Gefühl gehabt, aber was hätte er anderes tun sollen, als der Aufforderung Folge zu leisten? Niemals wäre es ihm ohne die Erlaubnis der Sicherheitsleute gelungen, die beiden noch vor ihm liegenden Panzerglastüren zu passieren. Jetzt stand er hier mit dem Doktor und dieser aufgetakelten Grundschullehrerin und hatte noch immer Davids zerknittertes Zeitungsfoto in der Jackentasche.
»Ah, Ambrose. Danke, dass Sie noch einmal zurückgekehrt sind. Wie es aussieht, hat es in unserem Untersuchungsfall doch noch eine kleine Wendung gegeben. Doktor Weiss, würden Sie die digitale Aufzeichnung bitte noch einmal starten?«
Die Stimme Zanollas klang so süßlich, dass Ambrose es geradezu als widerlich empfand.
Der große Plasmabildschirm ging an – und was er wenige Sekunden später zeigte, ließ Ambrose’ Herzfrequenz sprunghaft steigen. Es war eine Aufzeichnung aus dem Lehrerzimmer. Ambrose sah erst, wie der ältere Lehrer David wegen der stibitzten Zeitung maßregelte, dann den völlig verängstigten David und schließlich sich selbst. Er betrat das Lehrerzimmer, beruhigte den Lehrer, steckte die Zeitung ein und verließ mit David den Raum. Die ganze Aktion hatte keine zwei Minuten gedauert, doch in diesem Augenblick kam es Ambrose wie eine halbe Ewigkeit vor.
Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie der Doktor einen Zeitungsartikel vom Schreibtisch aufhob. Verdammt! Es war jener Ausschnitt, den Dr. Weiss in Davids Zimmer gefunden hatte. Das leere Rechteck im Papier, wo der Junge die Fotografie ausgeschnitten hatte, war nicht zu übersehen.
Zum ersten Mal drohte Ambrose’ vorgetäuschte innere Ruhe ihn zu verlassen.
»Warum haben Sie uns nicht von diesem Vorfall unterrichtet?«, wollte der Doktor wissen. Der süßliche Tonfall hatte mit einem Mal etwas Lauerndes und überaus Gefährliches.
Ambrose warf der Psychologin einen kurzen Seitenblick zu, den nur Zanolla wahrnehmen konnte. »Kleine Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft. Der Junge hat die Zeitung gestohlen, und ich habe ihm aus der Sache herausgeholfen. Ich wüsste nicht, was daran verwerflich sein soll.«
Freier konnte er in der Gegenwart der Frau nun wirklich nicht sprechen, ohne dass sie von Zanollas Bitte erfuhr, Ambrose möge Freundschaft mit dem Jungen schließen.
Die kleinen Augen des Doktors schienen mit einem Mal zu glühen, während sich auf dem Gesicht der Psychologin der Anflug eines Lächelns zeigte. Zanolla hielt den Zeitungsausschnitt wie eine messerscharfe Drohung hoch.
»Keine aktuellen Zeitungen für die Projekte, so lautet die Anordnung, die Sie mit Ihrem Arbeitsvertrag unterschrieben haben. Was ist daran nicht zu verstehen?«
Ambrose schwieg.
Der Doktor fuhr fort: »Sie haben den Jungen gefunden. Und Sie wollen nach wie vor nichts Ungewöhnliches entdeckt haben? Gar nichts?«
Zanolla musterte Ambrose, als ahnte er, was zu Davids Zustand geführt hatte. Ging es etwa um das verfluchte Foto aus der Zeitung, das er dummerweise noch bei sich trug? Verdammt, wie konnte ein Foto aus einer Zeitung einem Jungen das Bewusstsein, geschweige denn den Verstand rauben?
Doktor Zanolla berührte einen der Sensoren seiner Schreibtischkonsole. Sofort kamen zwei Sicherheitsleute herein und postierten sich rechts und links von Ambrose.
»Wir werden gleich sehen, ob Sie uns die Wahrheit erzählen … Mister Ambrose.« Der Doktor erhob sich und trat vor den Schreibtisch. An die Sicherheitsleute gewandt fügte er hinzu: »Durchsuchen Sie ihn.«
51.
Rinaldo und Giada
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