Engelsrache: Thriller
Gus ihr das Mädchen geradewegs ins Haus geschickt hatte. Sie tröstete sich seit Angels Ankunft damit, dem Mädchen beizustehen und ihr, so gut es ging, zu helfen. Endlich hatte sie die Tochter gefunden, die sie selbst nie gehabt hatte.
Angel hatte schon eine Weile bei Erlene gewohnt, als die beiden eines Abends vor dem Kamin auf der Couch lagen und irgendetwas im Fernsehen anschauten. Irgendwann im Laufe des Abends fing Angel an, von all den schrecklichen Dingen zu erzählen, die sie erlebt hatte. In diesem Augenblick wusste Erlene, dass sie richtig gehandelt, ja, dass Gus – oder Gott – ihr Angel geschickt haben musste. Wer von den beiden, war ihr letztlich egal. Angel war die Tochter, die ihr selbst versagt geblieben war. Deshalb war sie vom Schicksal dazu ausersehen, sich um das Mädchen zu kümmern.
Die anderen Mädchen erschienen um sechzehn Uhr. Erlene bat sie, an der Bar Platz zu nehmen. Als sich Julie wie üblich als Letzte hereingeschleppt hatte, ging Erlene auf die andere Seite der Theke und hielt eine kleine Ansprache.
»Heute Mittag ist ein TBI-Beamter hier gewesen, der Nachforschungen in einem Mordfall anstellt. Dieser Polizist hat ein Foto des Ermordeten bei sich gehabt. Er scheint zu glauben, dass der Mann gestern Abend hier gewesen ist. Ich bin mir nicht sicher, ob er nicht sogar einen von uns verdächtigt.«
Erlene machte eine kurze Pause und musterte die Gesichter ringsum. Ihre Mädchen mussten hohen Ansprüchen genügen und zum Beispiel stets gut gekleidet zur Arbeit erscheinen. Auch auf das Make-up und die Frisur ihrer Mitarbeiterinnen legte Erlene größten Wert. Als sie jetzt das Wort »Mord« erwähnte, reagierten die Mädchen wie vor den Kopf geschlagen und sahen einander fragend an.
»Meinen Sie etwa den Mord, über den sie vorhin im Radio berichtet haben?«, fragte Heather. »In den Nachrichten haben sie was von einem Prediger gesagt. Ich musste sofort an den Kerl denken, der hier gestern Abend so große Töne gespuckt …«
Erlene hob die Hand.
»Ich habe zwar die Nachrichten nicht gehört«, sagte sie, »aber ich bitte euch dringend, den Mann, der gestern Abend hier war, schnellstmöglich zu vergessen. Keine von euch hat den Kerl hier gesehen, verstanden? Jetzt hört mir mal ganz genau zu. Der Typ ist nicht hier gewesen. Falls der Mensch vom TBI wieder hier oder bei euch zu Hause auftaucht, dann wird er euch bestimmt ein Foto zeigen. Und dann sagt ihr, dass der Mann auf dem Bild nicht hier gewesen ist. Habt ihr das verstanden?«
Bis auf Julie nickten alle. Julie sah Erlene an und fing dann an zu maulen: »Soll das vielleicht heißen, Sie verlangen von uns, dass wir einen Bullen, der in einem Mordfall ermittelt, einfach belügen? Das ist doch strafbar!«
Natürlich. Wieder mal Julie. Ständig machte sie Probleme. Für das Geschäft war die rassige Rothaarige mit den grünen Augen zwar ein großer Gewinn, aber seit sie wieder auf Kokain war, ging es mit ihr von Tag zu Tag immer weiter bergab. Ständig kam sie zu spät, nie war sie bei der Sache, und beim Tanzen machte sie manchmal unvorstellbar vulgäre Sachen.
Als Julie damals Gus kennengelernt hatte, hatte sie sich total in ihn verknallt, obwohl er ihr Großvater hätte sein können, und sie war eifersüchtig. Erst vergangenes Jahr hatte Erlene das Mädchen gefeuert, weil Julie sich in einem Abstellraum Kokain reingezogen hatte. Als Erlene sie zur Rede gestellt hatte, war die junge Frau laut schimpfend aus dem Club gestürmt. Anschließend hatte Erlene acht Monate nichts mehr von ihr gehört, bis sich das Mädchen vor zwei Monaten telefonisch wieder gemeldet und bei ihr entschuldigt hatte. Sie hatte Erlene wegen Gus ihr Beileid ausgesprochen und gesagt, dass sie seit mehreren Monaten clean sei und gerne wieder im Mouse’s Tail arbeiten würde. Zu dem Zeitpunkt war das Mädchen noch in Texas gewesen. Erlenes Verstand hatte ihr geraten, sich nicht mehr mit Julie einzulassen, doch dann hatte sie Mitleid gehabt und sich gesagt, dass Julie bloß ein armes junges Ding war, das unbedingt einen Job brauchte. Außerdem war das Mädchen natürlich für das Geschäft wie ein Haupttreffer.
»Wenn wir zusammenhalten, kann gar nichts schiefgehen«, sagte Erlene jetzt. »Habt ihr eine Vorstellung davon, was los ist, wenn die Medienmeute hier einfällt, das heißt, wenn das Mouse’s Tail im Zusammenhang mit einem Mord erwähnt wird? Unsere Kunden würden reihenweise wegbleiben, und wir würden alle auf der Straße landen, Sie
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