Engelsrache: Thriller
herausgefunden?«
»Am ersten Dezember 1972 als Sohn des John Paul und der Debra Jean Tester in Newport geboren. Die Mutter ist an Eierstockkrebs gestorben, als der Sohn erst zwei Jahre alt war. Ist allein bei seinem Vater aufgewachsen, der als reisender Schweißer und nebenher als Prediger tätig war. Wenn der Vater unterwegs war, was oft vorkam, wohnte der Sohn bei einer Tante. Habe mit der Tante gesprochen, eine nette Dame namens Wanda Smithers, die inzwischen in Ocala, Florida, wohnt. Sie sagt, dass der Sohn seinen Vater geradezu angebetet hat. Angeblich ist Junior als Kind am liebsten in die Kirche gegangen, um seinen Vater predigen zu hören. Er hat damals meist in der ersten Reihe gesessen und andächtig jedem Wort aus dem Mund seines Vaters gelauscht«, sagte sie.
»Schon mit zehn Jahren hat der Sohn angefangen, die Bibel zu studieren, und als Halbwüchsiger bereits die ersten Predigten gehalten. Wenn er nicht gerade predigte, hat er sich meist in seinem Zimmer aufgehalten. Der Mann hat angeblich nie eine Freundin gehabt und sich früher weder am Schulleben beteiligt noch für Sport interessiert. Sein ganzer Lebensinhalt ist das Evangelium. Nach dem Ende der Schule ist der Sohn nach Auskunft der Tante zusammen mit seinem Vater umhergereist. Die beiden haben überall im Südosten gepredigt. Angeblich sind sie in fundamentalistischen Kreisen eine Art Legende.«
»Verdammt, Diane, und das haben sie alles in zwei Tagen recherchiert?«
»Kein Wunder – bei meinem Charme und meiner Persönlichkeit. Die Tante hat mir übrigens fast das Ohr abgequatscht.«
»Sonst noch was?«
»Die Tante hat gesagt, dass sie die beiden vergangenes Jahr mal besucht hat. Auch während dieses Besuchs hat sich Junior die ganze Zeit in seinem Zimmer verbarrikadiert und die Bibel studiert. Und dann hat sie noch gesagt, dass Vater Tester nicht so gläubig war wie sein Filius. Angeblich hat er ziemlich viel getrunken und war mächtig hinter den Frauen her.«
»Ob der Sohn davon gewusst hat?«, fragte ich.
»Vermutlich. So was lässt sich doch nicht jahrelang geheim halten. Außerdem habe ich noch mit einigen Leuten in der Dienststelle des Sheriffs von Cocke County gesprochen. Vater Tester hatte offenbar Beziehungen zur Lokalpolitik. Deshalb konnte er seinem Sohn auch den Job besorgen. Der Sohn ist dort nämlich seit über zehn Jahren als Polizeikaplan tätig. Er leistet den Beamten geistlichen Beistand, betreut die Häftlinge und so was. Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, sagen alle, dass Junior nicht ganz dicht ist. Angeblich spricht er ausschließlich über das Evangelium. Seit sein Vater tot ist, spricht er allerdings fast gar nicht mehr.«
»Und – ist er gewalttätig?«
»Keine Vorstrafen. Die Tante sagt, dass er eigentlich ein sanfter Kerl ist und sich nicht mal als Kind geprügelt hat. Allerdings hat er sich seit dem Tod seines Vaters völlig verändert, behauptet sie. Sie ist zur Beerdigung gekommen und sagt, dass sich der Sohn seit der Ermordung seines alten Herrn ausgesprochen merkwürdig verhält.«
»Danke. Schicken Sie mir die Rechnung.«
»Schon unterwegs.«
Eine halbe Stunde nach dem Telefonat mit Diane führte ein Justizbeamter Sarah in das Anwaltszimmer. Sie schien um fünfzehn Jahre gealtert zu sein. Als sie mich sah, setzte sie sich gar nicht erst an den Tisch, sondern verbarg ihr Gesicht in den Händen und ließ sich an der Wand zu Boden gleiten. Mitgefühl konnte ich bei ihrem Anblick nicht mehr empfinden, nur noch Wut.
»Und – Spaß gehabt?«, fragte ich.
»Mistkerl.«
»Mistkerl? Du hast Nerven. Wirklich toll, was du mit Lillys Auto angestellt hast. Tolle Leistung.«
»Na und? Sag ihr, dass es mir leidtut. Bin schon länger nicht mehr gefahren.«
»Wo ist Carolines Halskette?«
»Sag ich nicht.«
»Hast du sie verkauft oder direkt gegen Stoff eingetauscht.«
»Ist doch egal.«
»Ich hätte sie aber gerne zurück.«
»Keine Chance.«
»So weit ist es also mit dir gekommen, Sarah? Dass dir alles scheißegal ist? Für dich bedeutet die Kette vielleicht nichts weiter als eine Ladung Stoff, aber Caroline hat sehr daran gehangen, und ich möchte sie zurück.«
Sie ließ die Hände sinken und sah mich wütend an.
»Der einzige Mensch, dem diese Kette etwas bedeutet, bist doch du. Du wolltest damit doch bloß zeigen, wie wahnsinnig erfolgreich du bist … dass du dir solchen Firlefanz leisten kannst. Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass dieser Schmuck für Caroline wirklich wichtig
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