Engelsstern
abgeschlossen. Ich wollte meine Mutter nicht mit Fragen löchern, die ihr das Herz brechen und immer aufs Neue eine Wunde aufreißen würden, die nie richtig verheilt war. Sie hatte ihn vor langer Zeit geliebt. Ich dagegen hatte keine emotionale Bindung zu ihm. Er war ein Fremder im Nirgendwo. Nicht mal jetzt fühlte ich was für ihn.
»Alles okay?« In Garreths Augen lag Besorgnis. Er hörte nie auf, sich um mich zu kümmern.
»W arum liegt es an mir?« Ich bekam kaum noch Luft. So hatte ich mir einen Samstag mit Garreth mit Sicherheit nicht vorgestellt.
Er sah mich an, und wir machten uns auf den Rückweg. »Nur ein Mensch mit einer Blutsverwandtschaft zu einem Erzengel kann die Zerstörung rückgängig machen. Nur wer reinen Herzens ist, kann ihn aufhalten.«
»Mein Herz ist überhaupt nicht so rein. Ich hasse Brynn Hanson, denk dran!«
»Netter Versuch, Teagan.« Garreth schüttelte den Kopf und lachte. »Im Ernst, das, was von dir erwartet wird, ist sehr wichtig. Findest du denn nicht, dass du was Besonderes bist?«
Ich sah ihn von der Seite an. »Ist das eine Fangfrage? Weil ich nichts Besonderes an mir finden kann.«
Die Sonne linste nicht mehr durch die Baumkronen, sondern warf lange Schatten. Es war später Nachmittag. Ich sah abwechselnd meine Schuhe und Garreth an, in der Hoffnung, irgendwas in seinem Gesicht lesen zu können. Ich ging schneller und wollte endlich raus aus dieser grünen Welt, um den Kopf frei zu kriegen. Die ganze Verantwortung machte mich fertig.
»Ich verstehe das mit der Blutsverwandtschaft immer noch nicht«, sagte ich kopfschüttelnd.
Garreth hielt kurz an, um die richtigen Worte zu suchen. »Das Wesen, der Geist wird auf den menschlichen Schützling übertragen. Nicht Blut im Wortsinn, es gibt auch keine richtige Verwandtschaft. Stell es dir wie eine Nachfolge vor, wie ein Erbe, das von Generation zu Generation weitergegeben wird.«
Ich ließ das sacken. »Er hat was damit zu tun, dass mein Vater verschwunden ist, stimmt’s?« Garreth hielt mir die Beifahrertür auf, und ich kletterte benommen auf den Sitz. »W usste er vielleicht zu viel?«
»Dein Vater wusste mit Sicherheit, dass Engel, Licht und Dunkelheit existieren. Vielleicht reichte das schon,ihn zu einer Bedrohung werden zu lassen. Egal wie, irgendwas hat Hadrian zu dem gemacht, was er ist. Vielleicht wollte er Luzifer einfach nur seine Macht demonstrieren.«
Garreth hatte gesagt, das Wesen eines Erzengels fließe wie Blut durch meine Adern. Dass ich für die Schutzengel die einzige Hoffnung wäre. Verzweiflung packte mich. Ich war ja nicht mal in Französisch eine Leuchte. Welche Hoffnungen konnte ich schon erfüllen?
Die Lichtung war gerade groß genug zum Wenden, und wir fuhren zurück auf die Hauptstraße. Schweigen im Walde. Garreth schien zu spüren, dass ich meinen Gedanken nachhängen wollte. Er nahm meine Hand. Ich seufzte. Ich wollte mich noch nicht verabschieden, vor allem, da wir nur ein paar Tage zusammen hatten. Und ich ahnte, dass diese letzten Tage nicht gerade rosig werden würden, was es noch schlimmer machte. Tatsächlich sollten sie sich als die schrecklichsten Tage meines ganzen Lebens herausstellen.
»Ist meine Mutter auch dabei?« Vielleicht war das ja ein Familienerbe.
»Nein. Glücklicherweise hat sie keine Ahnung von dem, was außerhalb der Menschenwelt existiert. Teagan, dein Vater war ein Held, aber du bist noch stärker. Das Erbe wird mit jeder Generation mächtiger. Du musst an dich glauben. Am Ende musste dein Vater ganz allein gegen seinen eigenen Schutzengel kämpfen, der sein Wissen über deinen Vater benutzte, um ihn zu vernichten.«
Überraschenderweise war ich traurig und wütend.Schon merkwürdig, dass mich ein so starkes Band mit jemandem verband, den ich nicht kannte, und dass meine Mutter nicht daran teilhaben konnte.
Garreth hielt am Straßenrand und wandte sich mir zu. Jetzt waren wir schon den ganzen Tag zusammen, und ich bekam bei seinem Anblick immer noch weiche Knie. Aber ich fühlte mich auch stark dabei. Was auch immer da auf mich zukam und von mir erwartet wurde, ich wusste in diesem Moment, dass ich mit allem fertig werden konnte – solange er an meiner Seite war. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Garreth etwas zustoßen würde.
Heute hatte sich eine Tür geöffnet. Was sonst als Mythos oder übernatürliches Phänomen abgetan wurde, war auf einmal Realität, und ich stand mit großen Augen vor einer unwirklichen und unmöglichen Welt. Wenn es die gab,
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